Bewegte Pause in Handwerk & Co? BGM im produzierenden Gewerbe
Das Wichtigste in Kürze
- Mitarbeiter:innen aus dem produzierenden Gewerbe und der Pflege fallen oft krankheitsbedingt aus. Die Jobs sind körperlich beanspruchend, es kommt zu überdurchschnittlich hohen Belastungen – und damit vielen Krankheitstagen.
- Im produzierenden Gewerbe, auf dem Bau und in der Pflege gibt es besondere Herausforderungen, um BGM-Maßnahmen zu integrieren – etwa Zeitdruck, Fluktuation der Mitarbeiter:innen, saisonale Schwankungen oder fehlende Ressourcen.
- Damit passgenaue Lösungen entwickelt werden können, ist es hilfreich, die Mitarbeitenden einzubinden – und zwar möglichst frühzeitig.
- Präventive Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle. Dazu zählen Sicherheitsschulungen, Ergonomie am Arbeitsplatz und die Regulierung der Arbeitszeiten.
Was ist die wichtigste Ressource für jedes Unternehmen? Ganz klar, das sind gesunde Mitarbeiter:innen. Denn sie tragen erheblich zum Erfolg des Unternehmens bei. Damit ihre Mitarbeitenden arbeits- und leistungsfähig bleiben, haben viele Firmen mittlerweile ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) integriert.
Das Besondere: BGM geht über einzelne Maßnahmen wie Bewegte Pause, Ernährungskurse oder Gesundheitstage hinaus. Alle betrieblichen Prozesse werden systematisch und kontinuierlich auf das Ziel hin gesteuert, die Gesundheit aller Mitarbeitenden zu garantieren und zu fördern. Unter dem Dach des BGM werden verschiedene Säulen vereint und koordiniert: Arbeits- und Gesundheitsschutz, betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), betriebliche Gesundheitsförderung und medizinische Leistungen zur Prävention.
BGM-Maßnahmen in Produktion und Pflege – so wichtig wie nie
Während sich BGM-Maßnahmen für Bürojobs oft einfacher umsetzen lassen, sind sie für Mitarbeiter:innen in der Produktion, im Lager, in der Pflege oder im Lieferdienst nicht so einfach zu integrieren. Dennoch haben sie genau hier eine hohe Relevanz. Ein Blick auf die Statistik offenbart: Im Schnitt fehlt jede:r Arbeitnehmende 17,0 Tage. Im produzierenden Gewerbe sind es im Schnitt 21,3 Tage, im Baugewerbe 20,1 Tage.
Noch gravierender sind die Krankheitstage in der Pflege. Im „Branchenbericht Pflege" 2022 hat das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) für Nordrhein-Westfalen und Hamburg die Arbeitsunfähigkeitsdaten in der Pflege analysiert. Das Fazit: Jede Arbeitskraft fiel im Schnitt 28,2 Tage aus. Auch der „Gesundheitsbericht Rheinland 2023" zeigt die überdurchschnittliche Betroffenheit von Tätigkeiten aus dem produzierenden Gewerbe und der Pflege.
Was sind die Gründe für Arbeitsunfähigkeit in der Produktion?
Im produzierenden Gewerbe gibt es verschiedene Gründe, die zu Krankheitstagen führen. Zu den häufigsten Ursachen zählen laut dem aktuellen Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA):
- Muskel-Skelett-Erkrankungen
- Unfälle und Verletzungen
- Atemwegsprobleme
- Psychische Störungen und Verhaltensstörungen
- Herz-Kreislauf-Krankheiten
Sieht man sich die Auswertungen der unterschiedlichen Bereiche an, wird sichtbar, dass im produzierenden Gewerbe und besonders im Baugewerbe besonders häufig Unfälle und Verletzungen, sowie Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems der Grund für Arbeitsausfälle sind. 27,0 Prozent, beziehungsweise 28,3 Prozent, machen sie in diesen Gewerben aus. Im Finanz- und Versicherungsgewerbe beispielsweise, liegt der Anteil der Ausfälle mit diesem Grund zum Vergleich bei 22,6 Prozent.
Anders bei Jobs in der Pflege: Besonders stark angestiegen sind hier die Fallzahlen der Arbeitnehmer:innen mit psychischen Erkrankungen. Von 2006 bis 2021 haben sie sich um fast 70 Prozent erhöht, so die Pressemitteilung zum Krankenstand in der Pflege der AOK-Rheinland-Hamburg von 2022. Psychische Störungen machen vor allem in der Pflege einen Großteil aller AU-Fälle aus. Im Schnitt fehlt jede:r Arbeitnehmer:in acht Tage wegen psychischer Probleme – auf so einen hohen Wert kommt keine andere Branche.
Höhere Belastung für „Einfacharbeit“
Eine Studie des Instituts für betriebliche Gesundheitsförderung bestätigt, dass sogenannte „Einfacharbeit“-Tätigkeiten besondere Belastungen mit sich bringen. Als „Einfacharbeit“ oder Basisarbeit werden Aufgaben bezeichnet, die nach kurzer Einarbeitung ausgeübt werden können. Sie finden vor allem in den Branchen Gesundheit, Pflege, Sicherheit, Logistik, Reinigung, Gastronomie und Handel statt.
Die körperlichen und psychischen Arbeitsanforderungen sind in diesem Bereich überdurchschnittlich hoch. Oft werden diese Jobs vorwiegend im Stehen ausgeübt, das Heben und Tragen von schweren Lasten und das Arbeiten mit den Händen und in Zwangshaltungen belasten den Körper ganz besonders. Eine psychische Belastung der Basisarbeitenden kommt von der häufigen Monotonie der Tätigkeiten. Besonders große Unterschiede zwischen Basisarbeitenden und der Gruppe der Erwerbstätigen in Bürojobs zeigten sich bei Muskel-Skelett-Erkrankungen.
Besondere Herausforderungen: Ergonomie, Fluktuation, Ressourcen
Deutlich wird: Besonders im produzierenden Gewerbe, im Baugewerbe und in der Pflege sind BGM-Maßnahmen unbedingt notwendig, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten. Die Umsetzung ist jedoch oft eine Herausforderung. Das liegt an folgenden Problemen:
- Ergonomie und Arbeitsplatzgestaltung: Die Arbeitsplätze sind häufig nicht ergonomisch gestaltet. Viele Tätigkeiten finden im Stehen statt oder müssen in bestimmten Haltungen verrichtet werden, die sich negativ auf Muskeln und Skelett auswirken – genauso das Tragen von schweren Dingen. Oft sind auch die Arbeitsplätze nicht individuell anpassbar und werden von mehreren Mitarbeitenden verwendet.
- Arbeitsbedingungen: Die Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen können von Betrieb zu Betrieb stark schwanken. In bestimmten Berufen ist mangelnde Abwechslung das Problem. In anderen birgt der Umgang mit Maschinen und Werkzeugen höhere Verletzungsgefahren. In der Pflege sehen sich die Mitarbeitenden häufig einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt.
- Fluktuation: Besonders in der Bauindustrie gibt es oft saisonale Schwankungen und eine hohe Fluktuation unter Mitarbeitenden. Aber auch in der Pflege oder Produktion sind viele Mitarbeiter:innen nur temporär beschäftigt, was das nachhaltige Etablieren von BGM-Maßnahmen schwierig macht.
- Mangelnde Ressourcen und Zeit: Oft herrscht ein hoher Zeitdruck und das Tagesgeschäft geht vor. Die Ressourcen für Gesundheitsmaßnahmen sind außerdem häufig begrenzt, das heißt, den Mitarbeiter:innen stehen beispielsweise keine Laptops oder technische Geräte für Online-Kurse oder Schulungen zur Verfügung. Zudem sind die Schulungen oftmals nicht in mehreren Sprachen verfügbar und eine Sprachbarriere das Problem.
Lösungsansätze für erfolgreiche BGM-Maßnahmen
Doch wie können erfolgreiche Lösungen aussehen? Um BGM-Maßnahmen im produzierenden Gewerbe zu etablieren, spielen erst einmal folgende Maßnahmen eine Rolle:
💡Sicherheit garantieren: Stellen Sie sicher, dass alle Mitarbeitenden über die richtige Schulung verfügen und im Umgang mit Werkzeugen geübt sind um Verletzungen zu vermeiden. Angemessene Schutzmaßnahmen wie Arbeitssicherheitsschulungen sollten zur Verfügung stehen – so schreibt es auch das Arbeitsrecht vor.
💡Arbeitszeit anpassen: Schaffen Sie flexible Arbeitszeiten und Pausen, um die Work-Life-Balance der Mitarbeiter:innen zu verbessern. Schlafstörungen, die häufig durch Schichtarbeit entstehen, lassen sich dadurch womöglich vorbeugen.
💡Arbeitsbelastung reduzieren: Eine hohe Belastung und viel Druck im Job sollten wo immer möglich minimiert werden. Um das zu erreichen können Sie beispielsweise Aufgaben und Zuständigkeiten neu und auf mehrere Mitarbeitende verteilen. Am besten überprüfen Sie körperlich belastende Tätigkeiten der Mitarbeitenden regelmäßig und passen diese je nach Bedarf an. Außerdem ist es wichtig, dass bei hoher Arbeitsbelastung immer ausreichend Zeit zur Erholung eingeplant wird.
💡Ergonomie optimieren: Investieren Sie in ergonomische Arbeitsplätze und Ausrüstung, damit reduzieren Sie Muskel-Skelett-Erkrankungen. Benutzen mehr als ein:e Arbeitnehmer:in den Arbeitsplatz, sollte dieser stets anpassbar sein. Organisieren Sie am besten regelmäßige ergonomische Analysen, um die Arbeitsbedingungen forlaufend zu optimieren. Auch Schulungen für Ihre Mitarbeitenden, z.B. welche Körperhaltungen und Abläufe für den Körper angenehmer sind und wie sich Belastungen minimieren lassen, sind förderlich.
💡Mentale Gesundheit miteinbeziehen: Psychische Belastungen und Erkrankungen nehmen seit Jahren als Grund für Arbeitsunfähigkeit zu. Fördern Sie die psychische Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden und führen Sie regelmäßig eine Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung durch. Unser Mental Health Survey bietet Ihnen hier ein individuelles Angebot, das genau auf die Bedürfnisse in Ihrem Unternehmen zugeschnitten ist. Anschließend können Sie Maßnahmen ableiten und zum Beispiel Kurse anbieten, die Ihren Mitarbeiter:innen helfen, Ihre mentale Gesundheit selbst weiter zu fördern.
💡Passgenaue Maßnahmen finden: Gesundheitsprogramme sollten für alle Mitarbeiter:innen gleichermaßen zugänglich sein und sie dabei unterstützen, diese auch aktiv zu nutzen. Pausen und Möglichkeiten für Kurse müssen bedacht und fest verankert werden. Dabei sollten Sie die Maßnahmen jeweils an die persönlichen Bedarfe anpassen. Eine Beratung von außen kann hier sehr hilfreich sein. Wir von MEDISinn unterstützen Sie gerne bei der Findung und Umsetzung Ihrer ganz persönlich passenden BGM-Maßnahmen!
Nun zur Praxis: BGM in 7 Schritten umsetzen
Die Handlungshilfe „Gesunde Mitarbeiter - gesundes Unternehmen" stellt in dem Leitfaden für die Praxis sieben Schritte vor, wie Firmen BGM erfolgreich umsetzen können:
- Analyse des Ist-Zustands. Analysieren Sie zunächst Probleme und Schwachstellen im Unternehmen. Vergessen Sie dabei nicht die die Potenziale und Ressourcen. Dank dieser Untersuchung wird deutlich, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht und welche Maßnahmen eingeführt oder ausgeweitet werden sollten. Die Umsetzung erfolgt dann Schritt für Schritt.
- Betriebliche Fehlzeiten untersuchen. Eine wichtige Maßnahme ist es, die Krankheitsschwerpunkte des Unternehmens herauszufinden. Dabei hilft der Austausch mit den zuständigen Krankenkassen. Wenn Ihnen klar ist, welche Krankheiten vermehrt auftreten, können Sie gezielte Maßnahme entwickeln und einführen.
- Anonyme Befragung durchführen. Führen Sie regelmäßig (ca. alle 2 Jahre) anonyme Befragungen unter den Mitarbeiter:innen durch. Diese erlauben wichtige Erkenntnisse über die gesundheitliche Situation – und auch die Arbeitsbelastung. Krankenkassen und Berufsgenossenschaften stellen dazu Fragebögen zur Verfügung beziehungsweise unterstützen sogar bei der Befragung.
- HR, Betriebsrat & Datenschutz einbinden. Gesundheitsdaten unterliegen strengem Datenschutz. Von daher ist es wichtig, die Mitarbeitenden sowie Kolleg:innen aus Betriebs- und Personalrat oder Datenschutz frühzeitig einzubinden, um sich abzusichern und über den Prozess und Absichten zu informieren.
- Steuergruppe etablieren. Vernetzen Sie verschiedene Unternehmensbereiche miteinander und bauen Sie ein übergeordnetes Steuerungsteam auf. Dieses plant dann die Maßnahmen, kümmert sich um die Umsetzung und regelmäßige Check-ups. Hilfreich ist es, wenn auch Kolleg:innen aus Betriebsrat, Personal- und Arbeitsschutz involviert sind.
- Expertise von außen nutzen. Setzen Sie auch Unterstützung und Expertise von außen ein. Idealerweise besteht das Team aus internen Mitarbeiter:innen und externen Spezialist:innen. Diese liefern einen objektiven Blick und können den Erfahrungsschatz aus anderen Betrieben teilen. Je nach Schritt und Aufgabe können die Expert:innen wechseln.
- Alle mitnehmen. BGM-Maßnahmen können nur wirken, wenn sie von allen verstanden, akzeptiert und angewendet werden. Motivieren Sie Führungskräfte genauso wie Arbeitnehmende zur Nutzung und Weiterentwicklung des Angebots. Auch die Bedürfnisse und Bedenken der Mitarbeitenden sollten Raum finden. Zusätzlich spielt der Faktor Sprache möglicherweise eine Rolle. Stellen Sie Angebote wenn möglich in mehreren Sprachen bereit.
Fazit
Betriebliches Gesundheitsmanagement gehört in jedes gesunde Unternehmen. Bislang ist dies leider noch nicht überall fest verankert. Ganz besonders Betriebe im Handwerk, der Produktion und der Pflege brauchen ein gut geplantes und präventives BGM. Verschiedene Befragungen und Statistiken zeigen nämlich, dass die Mitarbeiter:innen in diesen Gewerben häufiger an körperlichen und psychischen Krankheiten leiden, als etwa Menschen mit Bürojobs. Durch gezielte Maßnahmen können Unternehmen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter:innen nachhaltig schützen und dadurch auch den Unternehmenserfolg langfristig sichern.