„Ich fühle mich nicht gehört“: Über Zuhören und Wertschätzung
Das Wichtigste in Kürze
- Obwohl wir fast die Hälfte der aktiv erlebten Zeit mit Zuhören verbringen, wird die Fähigkeit als Kommunikationskompetenz oft unterschätzt.
- Untersuchungen zeigen: Wer aktiv zuhört, erzielt bessere Verhandlungsergebnisse und wirkt selbstsicherer.
- Vier Typen von Zuhörer:innen sind üblich: Die Weghörer:innen, selektive Zuhörer:innen, bewertende und aktive Zuhörer:innen.
- Als Ideal gilt das aktive Zuhören nach Rogers, das aus den drei Phasen „Zuhören“, „Verstehen“ und „Untersuchen“ besteht.
- Wir geben fünf Tipps, wie aktives Zuhören gelingt.
Zuhören – das kann doch jede und jeder! So denken zumindest viele Deutsche: Umfragen zufolge halten sich 96 Prozent für gute Zuhörer:innen. Doch warum haben viele Menschen dann oft den Eindruck, dass von dem Gesagten beim Gegenüber wenig ankommt?
„Hast du etwa nicht zugehört?“ Diese Frage, die eigentlich keine ist, sondern vielmehr ein Vorwurf, bekommen wir sowohl beruflich als auch privat des Öfteren zu hören. So banal scheint die Sache mit dem Zuhören also nicht zu sein. Im Gegenteil: Zuhören ist eine Kunst. Und im beruflichen Kontext von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Für Gehaltsverhandlungen, aber auch im alltäglichen Umgang zwischen Führungskräften und Teammitgliedern. Denn, wer gut zuhören kann, erfährt, wo bei seinen Mitarbeitenden der Schuh drückt und was sie brauchen, um sich wohlzufühlen und optimale Arbeitsleistungen zu erzielen. Auch im Privatleben ist Zuhören eine der wichtigsten Sozialkompetenzen. Ob in einer Beziehung, Freundschaft oder innerhalb der Familie – wer aufmerksam zuhört, bringt seinem Gegenüber Respekt und Wertschätzung entgegen.
Wer gut zuhören kann, ist im Vorteil
Hätten Sie’s gewusst? 45 Prozent unserer aktiv erlebten Zeit verbringen wir mit Zuhören, damit stellt es prozentual gesehen die mit Abstand wichtigste Kommunikationstechnik dar. Mit Sprechen verbringen wir übrigens nur rund 30 Prozent, mit Lesen 16 und mit Schreiben neun Prozent unserer Zeit. Angesichts dieser Zahlen ist es umso überraschender, dass wir über das Zuhören so wenig wissen und es auch in unserer Erziehung kaum eine Rolle spielt. Unsere Eltern und enge Bezugspersonen bringen uns das Sprechen bei, in der Grundschule lernen wir Lesen und Schreiben – aber Zuhören? Das macht man ja ohnehin passiv – ohne irgendetwas dafür tun zu müssen, oder? Falsch gedacht! Denn Zuhören ist nicht gleich Zuhören. Und: Zuhören ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, auch im Job.
Wer aktiv zuhört, erzielt bessere Verhandlungsergebnisse als Weghörer:innen, die lieber ihre eigenen Argumente und Ideen vorbringen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie kommt bereits im sogenannten „Harvard-Konzept“ vor, einem Standardwerk zum Thema Verhandeln aus den 1980er Jahren. In weiteren Studien hat der Co-Autor und Harvard-Professor William Ury gezeigt, dass gute Zuhörer:innen die besseren und erfolgreicheren Verhandler:innen sind. Andere Untersuchungen, wie etwa die der Sprechtherapeutin und Kommunikationsexpertin Lillian Glass, haben ergeben, dass gute Zuhörer:innen besonders selbstsicher und stark wirken und ihnen eine große Kommunikationskompetenz zugesprochen wird. Kurzum: Wer gut zuhören kann, ist erfolgreicher.
Vier Typen von Zuhörer:innen
Auf welche Art und Weise die Menschen zuhören, hat der amerikanische Autor Anthony Alessandra untersucht. Er hat vier Typen von Zuhörer:innen ausgemacht.
- Der Typ „Weghörer“: Ihm fällt es grundsätzlich schwer, sich anderen Menschen zuzuwenden. Er ist ein eher introvertierter Typ. Sein Verhalten wird oft als unhöflich oder abweisend wahrgenommen. Ob Unsicherheit oder Desinteresse dahintersteckt, kann von Zuhörer:innen oft nicht klar wahrgenommen werden.
- Der „selektive Zuhörer“: Dieser Typ folgt den Themen und Argumenten in einem Gespräch eher oberflächlich. Geht es um Details oder tiefere Bedeutung, schalten selektive Zuhörer häufig ab. Mitunter sind sie mit ihren Gedanken längst woanders – einen Großteil des Gesagten vergessen sie schnell wieder.
- Der „bewertende Zuhörer“: Dieser Typ gibt sich große Mühe, gut zuzuhören, aber während der oder die andere noch spricht, überlegt er sich bereits eine schlagkräftige Antwort – weil er das Gesagte sofort bewertet. Er liebt es, zu diskutieren und scheut keinen Schlagabtausch.
- Der „aktive Zuhörer“: Dieser Typ schenkt dem Gegenüber volle Aufmerksamkeit. Aktive Zuhörer:innen stellen ihren inneren Monolog ab, achten auf Tonlagen, Körpersprache und Wortwahl. Sie stellen Fragen, die ihnen helfen, ihr Gegenüber wirklich zu verstehen.
Wichtig: Die Kategorisierung von Alessandra dient dazu, unterschiedliche Zuhörmuster zu identifizieren. Je nach Situation oder eigenem Gemütszustand werden die meisten Menschen mal weghören oder auf eine bestimmte Art und Weise zuhören. Eine Grundtendenz zu einem der vier Typen liegt aber meistens vor.
Der Weg zum Erfolg: Aktives Zuhören
Wenig überraschend: Aktives Zuhören gilt heutzutage gemeinhin als das erstrebenswerte Zuhören. Vor allem Führungskräfte sollten versuchen, möglichst auf diese Art und Weise ein Gespräch mit einem Teammitglied zu führen. Denn so können sie Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche der Kolleg:innen besser verstehen. Wie der HR-Report der Personalberatung Hays aus dem Jahr 2017 zeigt, wird aktives Zuhören aber nur in etwa einem Drittel aller Unternehmen wirklich praktiziert.
Das Konzept des aktiven Zuhörens geht auf den US-Psychologen Carl Rogers zurück. Ihm zufolge besteht aktives Zuhören aus drei Phasen. Diese können wie folgt geübt werden:
- Phase des Zuhörens: Hier geht es primär darum, das Gesagte aufzunehmen und dem Gegenüber zu zeigen, dass man auch an seinen Emotionen und Motiven interessiert ist. Blickkontakt unterstreicht das Bemühen.
- Phase des Verstehens: Nun geht es darum, das Gesagte auch richtig zu verstehen. Nachfragen und Unklarheiten beseitigen, lautet die Devise. Hierzu ist es hilfreich, die Inhalte zu paraphrasieren und mit eigenen Worten zu wiederholen. Das hilft, Missverständnisse zu vermeiden.
- Phase des Untersuchens: Jetzt sollte man versuchen, auch den emotionalen Inhalt des Gesagten zu verstehen und die Emotionen richtig wiederzugeben. Es kommt darauf an, sich in andere hineinzuversetzen und ggf. Wünsche herauszuhören.
Wichtig: Entscheidend für aktives Zuhören sind nach Rogers drei pädagogische Grundhaltungen – Kongruenz, Empathie und Wertschätzung. Sie sollten also im Gespräch mit ihren Teammitgliedern authentisch, einfühlsam und respektvoll auftreten. Hier kommen fünf Tipps, wie das funktionieren kann.
5 Tipps – so gelingt aktives Zuhören im Job
- Vorbereitung ist alles: Im hektischen Arbeitsalltag fehlt häufig die Zeit, um Termine ausreichend vorzubereiten. Das sollten Sie ändern. Im Sinne einer wertschätzenden Haltung ist es angebracht, das Gespräch mit dem Teammitglied gründlich vorzubereiten. Damit ist nicht nur das jährliche Mitarbeitendengespräch gemeint. Auch bei allen anderen Gesprächsterminen sollten Sie sich vorab überlegen, was sie ihrem Teammitglied mitteilen wollen. Machen Sie sich schriftliche Notizen und erkundigen Sie sich ruhig auch explizit nach dem Wohlbefinden und Wünschen des Gegenübers. Wichtig ist dabei natürlich: Dass Sie dann auch wirklich zuhören, wenn Ihr Gegenüber sich Ihnen dahingehend öffnet.
- Auf die Körpersprache achten: Ein Punkt, der gerne vernachlässigt wird. Dabei ist die nonverbale Kommunikation von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wie Untersuchungen zeigen, entscheidet die Körpersprache neben der Stimme und dem Inhalt maßgeblich darüber, wie das Gesagte wirkt. Für eine positive Körpersprache halten Sie im Gespräch am besten Blickkontakt und wenden sich der Gesprächspartnerin oder dem Gesprächspartner zu, indem sie den Oberkörper leicht nach vorne beugen. Das signalisiert ihrem Gegenüber, dass sie konzentriert sind und ihr oder ihm Interesse entgegenbringen.
- Ablenkungen vermeiden: Klar, das Smartphone ist heutzutage immer mit dabei. Ist ja auch praktisch, so verpasst man keinen wichtigen Anruf und kann auf eingehende Nachrichten umgehend reagieren. Doch für ein Gespräch, bei dem Sie aktiv zuhören wollen, ist es ratsam, dass Handy nicht vor sich auf den Tisch zu legen, denn das sorgt für Ablenkung und vermittelt auch dem Gegenüber ein gewisses Maß an Desinteresse am Gespräch. Blocken Sie sich bewusst die Zeit für das Gespräch, schalten Sie das Gerät in den Flugmodus und platzieren Sie es außer Sichtweite. Das ist ein Zeichen, dass ihre Aufmerksamkeit zu 100 Prozent auf das Gespräch gerichtet ist.
- Das Gegenüber ausreden lassen: Eigentlich eine Grundregel höflicher Kommunikation, aber nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Jede/r kennt das – werden unangenehme Themen angesprochen oder bekommt man Kritik an der eigenen Person zu hören, ist man oft versucht, sich zu rechtfertigen oder sofort ein Gegenargument zu liefern. Aber: Ihr Teammitglied liefert ihnen ein ehrliches Feedback und das ist Gold wert! Denn nur so können sie an Ihren Skills arbeiten und Abläufe optimieren. In diesem Sinne: In Ruhe zuhören, gegebenenfalls Notizen machen und das Gegenüber ausreden lassen.
- Öfter mal nachfragen: Aktives Zuhören zeichnet sich nicht zuletzt durch echtes Interesse an dem Gegenüber aus. Deshalb ist es neben dem Ausredenlassen ebenso wichtig, Nachfragen zu stellen. Das hilft nicht nur, im Zweifel Unklarheiten zu beseitigen, sondern unterstreicht auch ein ernst gemeintes Interesse an dem, was Ihrem Gegenüber gerade auf dem Herzen liegt.
Wenn wir schon beim Thema Fragen sind: Wenn Sie zu Beginn standardmäßig mit „wie geht’s?“ starten, dann sollten Sie auch eine ehrliche Antwort abwarten. Wie Analysen zeigen, steigt die Anzahl psychisch bedingter Fehltage im Job aufgrund von Depressionen, chronischer Erschöpfung und Ängsten fortlaufend. Deshalb ist eine ernst gemeinte Frage nach dem Gemütszustand mehr als nur förderlich. Sollten Probleme zutage kommen, ist die Führungskraft gefordert, den Mitarbeitenden entsprechende Hilfsangebote innerhalb und außerhalb des Unternehmens nahe zu legen.
Fazit
Zuhören ist eine oft unterschätzte Kommunikationskompetenz. Wer sie beherrscht, hat im Job nachweislich Vorteile. Aktives Zuhören gilt heutzutage als Ideal. Vor allem Führungskräfte sollten dieses Tool beherrschen, weil sie damit ihre Wertschätzung gegenüber ihren Teammitgliedern zum Ausdruck bringen, Bedürfnisse ausfindig machen und zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden beitragen können.
Insbesondere in Zeiten, in denen mentale Beschwerden vermehrt auftreten, können Führungskräfte mit aktivem Zuhören „Warnsignale“ rechtzeitig wahrnehmen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Somit trägt aktives Zuhören auch dazu bei, die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen und ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Wer bisher Schwierigkeiten hat, aktiv zuzuhören, der kann an dieser wichtigen Kommunikationskompetenz arbeiten – mit unseren Tipps oder auch in speziellen Seminaren für Führungskräfte.