Bedürfnisse, Wertschätzung und klare Ansagen – über Gewaltfreie Kommunikation

Mit Gewaltfreier Kommunikation können im Arbeitsalltag nicht nur Konflikte schneller gelöst werden, sondern auch so, dass sich alle Beteiligten damit wohlfühlen. Wie das geht? Indem wir uns an unseren Bedürfnissen orientieren.

Wertschätzend und lösungsorientiert kommunizieren kann ganz einfach sein – mit Gewaltfreier Kommunikation.

Kommunikation will gelernt sein – und das nicht nur im Privatleben, sondern auch, und vielleicht besonders, im Arbeitskontext. Gerade im Job prallen oft verschiedene Interessen aufeinander und bergen so Potenzial für verbale Auseinandersetzungen und Konflikte. Vielleicht kennen Sie es auch: Der Kollege steht unter großem Druck, weil er auf eine Beförderung hinarbeitet und pocht auf schnelle Lösungsfindungen im Team, die Chefin wünscht sich eine kostengünstige Umsetzung des Projekts, und Sie haben eigentlich gerade noch drei andere wichtige Tasks auf dem Tisch. Besonders wenn die Zeit drängt, leidet schnell und gerne die Qualität der Kommunikation im Team. Und was dann auch passieren kann: Eine:r wird laut, eine:r persönlich – am Ende fühlt sich niemand mehr so richtig wohl in der Zusammenarbeit. Selbst wenn hier keine Gewalt im eigentlichen Sinne verwendet wird, können die Folgen für das Miteinander durchaus schädlich sein. Die Methode der Gewaltfreien Kommunikation, kurz GfK, kann Teams dabei helfen, das Vertrauen ineinander zu stärken, Gemeinschaft zu fördern und Konflikte nicht nur schnell, sondern vor allem auch empathisch zu lösen.

Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation geht zurück auf den Psychologen Marshall B. Rosenberg. Seinem Sprachmodell zufolge zielt sie darauf ab, zwischenmenschliche Kommunikation wesentlicher, empathischer und freudvoller zu gestalten. Im Privaten wie auch im Arbeitskontext hilft sie uns also dabei, grundsätzlich wertschätzend miteinander umzugehen und Lösungswege zu finden, wenn Konflikte auftreten.

Wichtig: Die Gewaltfreie Kommunikation stellt stets die Bedürfnisse aller Beteiligten in den Mittelpunkt – sie sollen klar kommuniziert, respektiert und am Ende auch erfüllt werden. Der Kollege, der sich die Beförderung erarbeiten möchte, wünscht sich am Ende genauso eine angebrachte Wertschätzung für seine Arbeit, wie wir alle. Die Chefin will Ressourcen am Projekt sparen, damit sie Ihre Mitarbeitenden in der nächsten Promotionsrunde fairer bezahlen kann. Und den Wunsch nach einem umsetzbaren & gesunden Workload teilen ohnehin alle. Es zeigt sich: Auch wenn Menschen vielleicht unterschiedliche Strategien erlernt haben, um sich durchzusetzen, sind die Bedürfnisse, die unserem Handeln zugrunde liegen, meist gar nicht so verschieden. Wenn wir das anerkennen, können wir nach Lösungsstrategien suchen, die niemandem schaden (sprich emotionale oder verbale Gewalt antun) und für alle gewinnbringend sind. Daher sind Synonyme für Gewaltfreie Kommunikation zum Beispiel „bedürfnisorientierte Kommunikation“, „wertschätzende Kommunikation“, oder „empathische Kommunikation“.

Wie kann Kommunikation gewaltvoll sein?

So viel zur Theorie. Nun aber zur Frage: Was hat GfK eigentlich mit Gewalt zu tun? Meist verbinden wir den Begriff Gewalt mit einem körperlichen Angriff. Gewalt muss sich allerdings nicht zwangsläufig körperlich äußern – auch mit Worten und nicht-körperlichen Taten können wir Menschen verletzen. Bewertungen oder Abwertungen unserer Leistungen erzeugen realen Stress, der sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken kann. Kommen zu diesen Abwertungen noch weitere persönliche Belastungsaspekte, ist die psychische Beanspruchung noch höher. Das kann ernste gesundheitliche Folgen haben, die sich auch in der Arbeitswelt niederschlagen. Dass psychische Gesundheit ernst genommen werden muss, beweisen nicht zuletzt die Zahlen der Gesundheitsreports der deutschen Krankenkassen: Auch 2022 ist der zweithäufigste Grund für Arbeitsausfälle mit 19,6 Prozent psychischer Natur.

Warum ist Gewaltfreie Kommunikation am Arbeitsplatz wichtig?

Sprache kann sowohl empowern [dt. „jemanden befähigen“] als auch diskriminieren – das ist auch im Arbeitskontext nicht anders. Gleichzeitig ist Kommunikation für uns beinahe eine Banalität, von der wir annehmen, jede:r von uns sei automatisch gut darin und müsse es nicht üben. Doch Missverständnisse & Co. beweisen täglich: Gelungene Kommunikation ist ein Skill. Denn nur, wer in seiner/ihrer Art zu kommunizieren berücksichtigt, aus welchen Beweggründen das Gegenüber argumentiert, kann zielführend antworten. Dazu kommt, dass Kommunikation auch ein Spiegel unterschiedlicher Macht- und Hierarchiestrukturen, verschiedener Stufen von Bewusstsein für verletzende Sprache, oder genereller Sprachbarrieren ist. Aus all diesen Gründen und eben weil sie so essenziell und alltäglich ist, ist es wichtig, Kommunikation zu lernen.


Kommunikation als Reaktion? Verschiedene Ausgangslagen & Erlerntes

Beispiel: Eine neue Kollegin, die erst vor kurzem in Ihrem Team angefangen hat, kommt zum wiederholten Mal zu spät zum Teammeeting. Die Zeit drängt, denn das Projekt muss bald abgeschlossen werden, sonst gibt es Ärger von oben. Sie sind verantwortlich für den Erfolg des Projekts und merken, wie Sie wütend werden und insgeheim schon erwarten, dass die Kollegin auch nächstes Mal wieder zu spät sein wird und generell unzuverlässig sei.

Was Sie nicht wissen: Die Kollegin bringt gerade nicht nur die beiden Kinder morgens in die Schule, sondern pflegt zusätzlich noch ihre Mutter, die vor kurzem mit Alzheimer diagnostiziert wurde. Da ihre Partnerin eine Geschäftsreise nicht absagen konnte, bleibt der Großteil der Care Arbeit [dt. „Fürsorgearbeit“] nun an ihrer Kollegin hängen. Und weil sie in ihrem letzten Job schlechte Erfahrungen mit ihrer Führungskraft gemacht hat, ist sie außerdem etwas unsicher im Team und fürchtet ständig, nicht gut genug zu sein.

Was Ihre Kollegin nicht weiß: Sie haben gerade zum ersten Mal die komplette Verantwortung für ein Projekt übernommen und fürchten Konsequenzen von Ihrem Chef, wenn sich die Timeline noch einmal verzögert. Die Hierarchiestrukturen in Ihrem Unternehmen sind recht steil und klar definiert – wer nicht liefert, scheitert. Sie versuchen Ihr Bestes, die Unternehmenspolitik von Ihrem Team fern- und die Motivation aufrechtzuerhalten, kommen aber oft an Ihre Grenzen, wenn es darum geht, in Stresssituationen gut zu kommunizieren.


Wir verbringen viel Zeit unseres Arbeitstages mit Konfliktmanagement – Gewaltfreie Kommunikation kann helfen, schneller zu Lösungen zu kommen. Informationsquelle: Konfliktkostenstudie KPMG.

Gerade im Job sind wir oft stressigen Situationen ausgesetzt und reagieren deshalb manchmal impulsiv und emotional – das ist ganz menschlich. Je nachdem in welcher Lage sich auch unser Gegenüber gerade befindet, entsteht hier viel Spielraum für Konflikte. Diese nehmen in unserem Arbeitsalltag tatsächlich unnötig viel Raum ein – etwa 15% der Arbeitszeit verbringen wir mit Konfliktmanagement, Führungskräfte sogar 30-50%!

Da Gewaltfreie Kommunikation damit beginnt, Situationen wertungsfrei zu beschreiben und erst im zweiten Schritt unsere Gefühle ins Spiel bringt, verringern wir aktiv das Entstehen von Missverständnissen und somit auch unnötigen Auseinandersetzungen. Gewaltfreie Kommunikation hilft uns also, Konflikte fairer und besser lösen zu können.

Gewaltfreie Kommunikation in der Praxis – wie sich GfK umsetzen lässt

Gewaltfreie Kommunikation führt also auch im Arbeitskontext zu einem faireren Miteinander, fördert die Lösungsfindung und kann Konfliktmanagement bedeutend erleichtern. Doch wie genau kommuniziere ich meine Bedürfnisse klar und deutlich an meine Kolleg:innen und Vorgesetzten? Und wie muss GfK im Unternehmen gelebt werden, um wirklich einen positiven Effekt zu haben? Sie haben es schon geahnt – Transparenz und Übung sind das A und O!


Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation

  1. Beobachtung: Zuallererst ist es wichtig, die Situation einfach nur wahrzunehmen und zu beschreiben – ohne jede Interpretation oder Wertung. Beispielsweise: „Mir ist aufgefallen, dass du zu den letzten beiden Teammeetings jeweils 20 Minuten zu spät gekommen bist.” (statt „Du kommst immer zu spät!”)
  2. Gefühl: Erst im zweiten Schritt sollen Emotionen erspürt und mit Worten benannt werden. Zum Beispiel: „Das frustriert mich.”
  3. Bedürfnis: Aus dem Gefühl lässt sich dann ein Bedürfnis erkennen und benennen: „Ich wünsche mir mehr Wertschätzung”.
  4. Bitte: Wenn das Bedürfnis klar erkannt ist, sollte daraus eine konkrete Bitte abgeleitet werden: „Könntest du dich beim nächsten Meeting bitte bemühen, pünktlich zu sein?”

Hier sind ein paar Vorschläge, wie Sie Ihre Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse & Bitten direkt und wertschätzend äußern können.

Studien zeigen: Menschen brauchen psychological safety [dt. „psychologische Sicherheit“] um gute Arbeit leisten zu können. Das bedeutet, ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich sicher genug fühlen, Dinge anzusprechen, auch wenn sie unangenehm sind. Dabei muss es nicht zwangsläufig immer nur harmonisch zugehen, vielmehr soll sich jede:r mit Fragen und Ideen einbringen können, ohne negative Konsequenzen für Karriere, Status oder Selbstwert fürchten zu müssen.

Doch so einen Rahmen herzustellen ist gar nicht so einfach. Um ein psychologisch sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen, müssen alle Beteiligten bereit sein, an sich zu arbeiten, festgefahrene Strukturen immer wieder zuhinterfragen, Kolleg:innen zuzuhören und selbst fair und klar zukommunizieren. Mit gutem Beispiel voran geht hier unter anderem das Unternehmen soulbottles, in deren Firmenkultur die gewaltfreie Kommunikation fest integriert ist. In einem Interview mit Neue Narrative wird klar – Gewaltfreie Kommunikation in Unternehmen kann nur funktionieren, wenn die Beziehungsarbeit mindestens genauso gewichtet wird, wie die operative Arbeit. Das heißt, wer gewaltfreie Kommunikation nur als „Nice-to-have“ [dt. „nett zu haben“], also letztendlich als optional, ansieht, wird auch keine spürbaren positiven Effekte damit erzielen. Solange die operative Arbeit, also die messbare Leistung, immer vorgeht, fallen Wertschätzung und Kommunikation im Arbeitsalltag oftmals unter den Tisch. Eine erste Übung kann also sein, den Ist-Zustand des Teams im Hinblick auf Prioritäten zu betrachten. Dann können Sie anfangen sicherzustellen, dass alle Beteiligten den gleichen Wissensstand haben, wenn es um die zu etablierende Art der Kommunikation geht.

Werden beispielsweise neue Mitarbeitende im Onboarding bereits mit den Regeln der Gewaltfreien Kommunikation vertraut gemacht? Sind die Prinzipien für alle zugänglich an einem Ort einsehbar? Es empfiehlt sich, Einführungskurse durchzuführen, an denen alle (neuen) Mitarbeiter:innen teilnehmen, und die Methoden dann regelmäßig wieder aufzufrischen. Erstellen Sie zum Beispiel einen Grundwortschatz der GfK für Ihr Team und üben Sie die vier Schritte (Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis & Bitte), indem Sie sie in immer mehr Konversationen verwenden. Übung macht den Meister, beziehungsweise die Meisterin – auch wenn es um Kommunikation geht!


Zu guter Letzt

Expert:innen finden übrigens, dass es keinen Unterschied zwischen Privatleben und Arbeitsleben geben sollte, wenn es um wertschätzende Kommunikation geht. In beiden Sphären kann es oft schwierig sein, sachlich zu kommunizieren und zu argumentieren. Im Privaten muss man seltener harte Konsequenzen fürchten, wenn man einmal unüberlegt Dampf ablässt. Im Job kann man dafür den Menschen oft nicht aus dem Weg gehen, selbst wenn man das vielleicht möchte. Am Ende ist es aber doch beruhigend, dass ein Skill uns in beiden Lebensbereichen weiterhilft – und das in nur vier Schritten!


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Stand des Artikels: 09.10.2023
Die Autorin

Yvonne Müller

MEDISinn-Redaktion

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