Was bedeutet eigentlich positive Psychologie?

Der Fachbereich der positiven Psychologie ist noch recht jung, sein Grundprinzip aber ist heute schon in vielen Bereichen präsent. Bücher, Apps, ja sogar Filme widmen sich der Suche nach dem erfüllten Leben. Das Prinzip des Glücklichseins spielt dabei eine zentrale Rolle, und damit auch, so zeigen Studien, die eigene Gesundheit. Doch wie finden wir Glück wirklich, wie trägt es zu einem gesunden und erfüllten Leben bei und wie will positive Psychologie uns dabei helfen? Ein Annäherungsversuch.

Wir stellen uns die Frage: Was bedeutet positive Psychologie? Um diese noch sehr junge Fachdisziplin zu verstehen, die uns vielleicht gerade jetzt zu Pandemie-Zeiten ein Wegweiser sein kann, in denen sich viele Veränderung und Verbesserung wünschen.

In einem privaten Gespräch mit Freunden kam zuletzt die Frage auf, worauf wir uns am meisten freuen, sollte das Leben wieder zu „normalen“ Strukturen zurückfinden und Corona nicht mehr die Hauptrolle spielen. Mit strahlenden Augen haben wir über unsere persönlichen Wünsche gesprochen, von großen Konzerten bis hin zur Weltreise. All die Dinge, die uns glücklich machen und die für viele von uns nun schon seit nahezu zwei Jahren nicht mehr möglich sind. Wir konnten zwar alle nicht behaupten, aktuell unglücklich zu sein, jedoch so richtig glücklich auch nicht. Warum ist das so? Warum ist das persönliche Glück so sehr von äußeren Faktoren abhängig? Zurück zu Hause fing ich an, Antworten darauf zu suchen und landete dabei recht schnell bei Essays zum Fachgebiet der positiven Psychologie. Einem Forschungsbereich, der sich mit dem beschäftigt, was das Leben lebenswerter macht.

Die junge Geschichte der positiven Psychologie

Die Disziplin der positiven Psychologie ist in der Tat noch recht jung. Ihre Grundidee hingegen lässt sich aus der antiken Philosophie ableiten. Für Aristoteles zum Beispiel galt Glück circa 350 v.Chr. als erklärtes Lebensziel. Mit dieser Einstellung schloss er sich dem Eudaimonismus an, der antiken Lehre vom guten Leben. Diverse traumatische Ereignisse erzeugten im Laufe der Weltgeschichte aber vermehrt den Bedarf nach einer Forschung, die sich der Bewältigung derer widmete. Das Streben nach Glück trat so zunächst für lange Zeit in den Hintergrund der psychotherapeutischen Praxis.

Forschungsergebnisse aus den 1990er Jahren haben die Nachfrage dahingehend wieder verstärkt. So zum Beispiel eine Studie der „Cross-National Collaborative Group“ aus dem Jahr 1992. Sie untersuchte die Wahrscheinlichkeit einer Depressionserkrankung im Laufe des Lebens. Was sie ergab: Obwohl heutzutage viele Menschen wirtschaftlich, politisch und sozial in besseren Verhältnissen leben als beispielsweise noch vor 100 Jahren, so sind sie dennoch unglücklicher.

Als einer der Pioniere der positiven Psychologie gilt Dr. Martin E.P. Seligman, Leiter des Positive Psychology Center an der University of Pennsylvania. Er nutzte den Begriff das erste Mal im Jahr 1998. Im Jahr 2000 verfasste er gemeinsam mit dem Psychologen Mihály Csíkszentmihályi den Fachartikel „Positive Psychology. An introduction“ und damit eine Art Gründungsmanifest der positiven Psychologie (erschienen im Fachblatt „American Psychologist“). Sechs Jahre später erklärt Seligman in einem TED-Talk die Hintergründe. Auf die Frage hin, wie es aktuell um die Psychologie stünde, musste er in einem Fernsehbeitrag zu dem Schluss kommen: „nicht gut genug“. Denn über die letzten Jahre, so seine Argumentation, habe sich die Psychologie hauptsächlich mit Krankheitsbildern beschäftigt – und hier auch große Fortschritte gemacht. Viele psychosomatische Erkrankungen sind durch diese Art der Behandlung inzwischen erfolgreich therapierbar, manche sogar langfristig heilbar. Das seien unumstritten unfassbare Erfolge, die vielen Menschen zu einem glücklicheren Leben verholfen haben. Jedoch, und hier sieht Seligman einen Nachteil, entstand dadurch auch eine automatische Assoziation zwischen Psychologie und Krankheit. Seiner Meinung nach könne Psychologie jedoch jedem Menschen dabei helfen, glücklicher zu werden – mit oder ohne Krankheitssymptomen.

Für Aristoteles galt Glück als erklärtes Lebensziel. Aber viele traumatische Weltereignisse haben dazu beigetragen, dass innerhalb der Psychologie das Forschen nach Glück der Traumabewältigung gewichen ist.

Was wir zum Glück im Leben brauchen

Laut der GDI-Studie „Nie zu alt“ zählt Glück nicht nur zu unseren zwölf wichtigsten Lebenszielen, sondern auch mit zu den konstantesten. Dazu gehört für viele auch die eigene Gesundheit – ein Wert, der im Laufe des Lebens immer wichtiger wird, belegt die Studie. Ähnliches ergab auch eine Umfrage des SINUS-Instituts: Über die Hälfte der Befragten gab hierbei an, dass Gesundheit der Schlüssel zum Glück sei. Dahinter erst liegen weit abgeschlagen die Faktoren Partnerschaft (32%), Familie (31%) und Geld (25%).

Glück wünschen wir uns indirekt auch beinahe täglich: Wir sprechen unsere Glückwünsche aus, verschenken Glücksbringer oder tragen sie gar an uns, führen Rituale aus, um das Glück nicht zu vertreiben und rufen uns „viel Glück“ zu, bevor es in ein wichtiges Meeting geht. Aber wo finden wir denn nun das Glück, wenn wir es uns doch so oft und so sehr wünschen? Prof. Dr. Dan Gilbert, Professor für Psychologie an der Harvard Universität in Cambridge, sagt dazu deutlich: Glück ist nicht planbar. Und: Es ist überall. Wir suchen also weiter.

Wie negative Ereignisse uns laut positiver Psychologie stärker machen

„Bei der positiven Psychologie geht es nicht darum, Schäden zu begrenzen – und von minus acht auf minus zwei der Befindlichkeitsskala zu kommen. Sondern wie wir uns von plus zwei auf plus fünf verbessern können“, so erklärt Seligman das Grundprinzip des Forschungsgebietes im Magazin „Psychologie heute“. Persönliche Stärken intensivieren, positive Momente reflektieren, Dankbarkeit praktizieren – das seien Grundbausteine der positiven Psychologie. Dabei sei „Glück kein Selbstzweck“, erklärt auch Psychologin Judith Mangelsdorf, Institutsleiterin der Deutschen Gesellschaft für positive Psychologie. Das heißt, positive Psychologie blende negative Aspekte des Lebens nicht aus – wessen sie innerhalb der Forschung des Öfteren bezichtigt wird. Mangelsdorf erklärt, dass die Stärkung der eigenen Persönlichkeit innerhalb der positiven Psychologie vielmehr die Resilienz stärkt und Reflexion auch in schwierigen Situationen begünstige. Sprich: Um glücklich zu sein, braucht es nicht nur schöne Momente, sondern auch schwierige, an denen man wachsen kann.

Auch negative Erfahrungen gehören zum Leben und können sogar zu einem glücklichen Lebensweg verhelfen. Denn in ihnen entdecken wir unsere eigenen Grenzen und auch Stärken, die uns fortan begleiten.

So viel zur Theorie. Doch kann Glücklichsein wirklich erlernt werden? Es gibt immerhin Studien, die aussagen, dass das Glücksempfinden zu 50% genetisch bedingt ist. Und doch gibt es viele Bücher und Apps auf dem Markt, die uns den Schlüssel zu einem erfüllteren Leben versprechen. So zum Beispiel die App „Woop“ von Gabriele Oettingen von der Universität Hamburg, die mit einem strategischen Abgleich aus Wunsch und Wirklichkeit dazu verhelfen will, realistische Ziele zu erreichen, die glücklich machen. Das klingt erstmal vielversprechend und vor allem, für jeden umsetzbar.

Wie sich Glück auf unsere Gesundheit auswirkt

Glückliche Menschen leben länger! Oder doch nicht? Hier scheint sich die Forschung noch nicht einig zu sein. Ein bis zu zehn Jahre längeres Leben prophezeien diverse Untersuchungen auf dem Gebiet der „Glücksforschung“. Dies wiederum hat eine Studie der University of New South Wales in Australien dementiert und legt der Aussage ein Missverständnis zugrunde: Sie vermuten, dass unzufriedene Menschen früher sterben, weil sie häufiger zu einem ungesunden Lebensstil neigen. Es gibt viele Quellen, die belegen, dass glückliche Menschen sich gesünder ernähren, weniger rauchen, seltener an Übergewicht leiden und mehr intakte soziale Beziehungen pflegen. Glücksgefühle sollen darüber hinaus Stress und dessen negative Effekte im Körper nachweislich reduzieren und das Immunsystem sowie die Abwehrkräfte stärken. Dass Glück im Körper messbar ist, erklärt auch Medizinier und Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen gegenüber der ARD. So würde ein MRT zeigen, welche Glückszentren im Gehirn aufleuchten. Ebenso wie man den Gegenspieler von Glück, also Stress, deutlich nachweisen könne. „Glück ist gesund, und es ist ansteckend“, so von Hirschhausen. Auch wenn es dem Fachbereich sicherlich noch einiges mehr an Forschung und messbaren Studien bedarf: Glücklichsein kann uns definitiv nicht schaden. Aber was fehlt uns denn noch zum Glück?

Warum viele Menschen gerne unglücklich zu sein scheinen

Laut Deutsche Post Glücksatlas ist die allgemeine Lebenszufriedenheit in Deutschland 2021 auf einen Wert von 6.58 Punkten (von insgesamt 10 Punkten) zurückgegangen. Die Corona-Pandemie hat dazu sicherlich einen erheblichen Beitrag geleistet. Noch vor der Pandemie im Jahr 2019 lag die Zufriedenheitsquote bei einem damaligen Rekordhoch von 7.14 Punkten. Und eine Glücksstudie des wissenschaftlichen Expertennetzwerks Sustainable Development Solutions Network zeigt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auf Platz 7 der weltweiten Zufriedenheitsskala liegt. Demnach ist die Lebenszufriedenheit übrigens in Finnland am höchsten, gefolgt von Island, Dänemark und der Schweiz. Eigentlich gar nicht so schlecht, oder? Doch weshalb begegnen mir in der U-Bahn und auf der Straße dann nicht ausschließlich freudestrahlende Menschen? Warum sind so viele scheinbar dauergestresst, genervt oder überreizt? Eckart von Hirschhausen schreibt dazu in seiner Kolumne: „Offenbar lieben wir Schmerz, der nachlässt, mehr als neutrale Gefühle. Das erklärt auch, warum Frauen so gerne Schuhe kaufen, die einen Tick zu eng sind – für den kontrollierbaren Glücksmoment am Abend, wenn der Schmerz beim Ausziehen nachlässt.“ Das scheint…leider nachvollziehbar. Warum quälen wir uns selbst lieber, als einfach mehr neutrale Glücksgefühle zu suchen? Und warum warten und hoffen wir darauf, dass jemand anderes uns glücklich macht, wenn Glück doch ein Gefühl ist, dass letztendlich auch wir selbst in uns erzeugen können? Und genau hier setzt die positive Psychologie nun an: bei den Stärken, die in uns selbst liegen.

Glück als Übungssache? Durch Reflektion der eigenen Stärken, Dankbarkeitspraktiken und weiteren Erkenntnissen aus der positiven Psychologie kann das Glücksempfinden trainiert werden – auch am Arbeitsplatz.

Über die Entfaltung der eigenen Stärken: Wie positive Psychologie uns auch am Arbeitsplatz hilft

Positive Gefühle sind der Schlüssel zum Erfolg – auch im Job. Dabei bietet das Forschungsgebiet der positiven Psychologie viele Möglichkeiten, die Zufriedenheit und Produktivität im Beruf zu steigern. So zum Beispiel durch eine Auswertung der persönlichen Stärken und ihren Einsatz im jeweiligen Berufsfeld. Studien zeigen, dass Menschen, die vier oder mehr ihrer Stärken anwenden können, ihre Arbeit als besonders sinnvoll empfinden. Sie haben mehr Freude an ihr, können sich zudem auch persönlich entfalten und weiterentwickeln. Wer voll und ganz in seiner Arbeit aufgeht, erlebe laut Csíkszentmihályi auch öfter den sogenannten „Flow“. Einen zufriedenstellenden Zustand höchster Produktivität, in dem man alles andere um sich herum vergisst und sich sicher sein kann: Ich habe mein Bestes gegeben.

Positive Effekte lassen sich im Beruf auch durch eine ideale Teamzusammenstellung generieren, die wiederum von den Persönlichkeitsstärken der einzelnen profitiert. Das richtige Teamsetting hat Auswirkungen auf die Kreativität, den Prozessablauf sowie auf das übergreifende Projektergebnis. Dabei kann man sich auf verschiedene Teamrollen-Modelle beziehen, wie zum Beispiel jenes, welches vom VIA Institute on Character entwickelt wurde. Dabei werden Charakterstärken, wie zum Beispiel Neugierde, Kreativität oder auch Dankbarkeit, identifiziert und einzelnen Teamrollen zugewiesen.

Auch das Prinzip der positiven Führung entspringt aus dem Forschungsgebiet. Es stellt das Wohlbefinden der Menschen im Unternehmen und die Leistungsfähigkeit der Organisation in den Mittelpunkt und erfolgt in vier Schritten: Talententwicklung, Engagement, Erstellung einer Vision und Teamentwicklung.

Alle diese Möglichkeiten stellen die Person und ihre Stärken in den Vordergrund und profitieren dabei von einer erhöhten Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität. Und nicht zuletzt: Wer zufriedener ist, ist schlussendlich auch glücklicher. Und wer glücklicher ist, neigt zu einem gesünderen Lebensstil. Es lohnt sich also auch für Unternehmen, in Ansätze der positiven Psychologie zu investieren.

Die Wissenschaft vom guten Leben ist aktuell sicherlich eine willkommene. Sich zu Zeiten, in denen einem in vielerlei Hinsicht die Hände gebunden sind, wieder auf die eigenen Stärken und Wünsche zu fokussieren und sich schwierigen Situationen anzunehmen, um an ihnen zu wachsen – wann, wenn nicht jetzt? Und auch wenn die Forschung aktuell noch in den Babyschuhen steckt, freuen wir uns auf mehr positive Fortschritte!


Zu guter Letzt

Haben Sie schon einmal vom Positive Psychology Movie Award gehört? Nein? Er wurde zuletzt 2018 von Psy.D. Ryan Niemiec vom VIA Institute on Character verliehen. Damals ging der Award für Bester positive Psychologie Film an Mary Poppins‘ Rückkehr. Die optimistischen Aussagen und Aktionen der Charaktere, sowie Aussagen, die selbst das Unmögliche möglich erscheinen lassen, haben dem Film zu dieser Auszeichnung verholfen. Wenn Sie also mal wieder etwas Inspiration und Glücksgefühle brauchen, wäre das sicherlich ein Tipp für einen schönen Filmabend. In diesem Sinne: "Wenn die Welt kopfunter hängt, ist es die beste Idee, sich einfach mit ihr umzudrehen." (Zitat aus Mary Poppins‘ Rückkehr, 2018).


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Stand des Artikels: 16.02.2022
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion
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