Quo vadis, Work-Life-Balance? Komm zurück!

Vor gar nicht allzu langer Zeit, da hörte man davon in jedem Mitarbeitergespräch und an jeder Kaffeemaschine: Der Begriff der Work-Life-Balance, beinahe ein Megatrend im Berufsleben. Heutzutage findet er angesichts der neuen Erschwernisse nur noch einen dumpfen Widerhall. Dennoch glauben wir, er ist so wichtig wie nie zuvor. Zu Zeiten stetig wechselnder Herausforderungen, speziell für unsere mentale Gesundheit. Wir in der Redaktion fragen uns also: Wo ist sie hin, die Work-Life-Balance?

Wir fragen uns: Was bedeutet eigentlich Work-Life-Balance? Ein Begriff, der vor nicht allzu langer Zeit in aller Munde war und heutzutage verschwunden zu sein scheint. Aber ist er nicht gerade zu Zeiten ständiger mentaler Belastung wichtiger denn je?

Wo der Trend herkommt

Der Begriff der „Work-Life-Balance“ bezeichnet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben. Das Konzept wurde in den 70er-Jahren das erste Mal erwähnt. Seine Grundlage bilden psychologische Erkenntnisse über den modernen Menschen der (post-)industriellen Arbeitswelt: Um Karriere zu machen, Familie und Beruf zu vereinbaren oder sozial aufzusteigen, nimmt er ein hohes Maß an Stress und Mehrarbeit in Kauf. Darunter leiden ausgleichende Tätigkeiten wie Sport, Freunde treffen oder einfach mal ausspannen. Stress gehörte lange Zeit zum guten Ton, beschrieb einen Menschen, der viel beschäftigt und gefragt war. Führungskräfte schmückten sich mit ihrem hohen Arbeitspensum als Aushängeschild für ihre Exzellenz.

Doch allzu schnell stellte sich heraus: Zu viel und zu langanhaltender Stress macht uns krank. Stress geriet also in Verruf und wurde sogar als eine der Ursachen von coronaren Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Burn-out & Co wissenschaftlich anerkannt. Der Ruf nach mehr Ausgewogenheit zwischen Privatleben und Arbeit wurde laut. Eine noch immer relativ neue Erkenntnis brach sich langsam Bahn: Wer viel Stress hat, braucht entsprechend viele Ruhephasen. Was eigentlich nur logisch ist, weil menschlich: Niemand schafft es, ohne Erholung ständig Höchstleistungen zu vollbringen und das Maximum an Überstunden produktiv zu arbeiten – der Mythos vom unmenschlichen Stehaufmännchen ist zwar gut widerlegt, strahlt aber immer noch einen gewissen Reiz auf manche aus.

Wo Stress dringend nötig ist

Für eine gesunde Work-Life-Balance und erfolgreiches Arbeiten sind Pausen also das A und O. Niemand sollte sich dafür schämen müssen und ja, auch High-Performer können ohne ausreichend Schlaf und einen angemessenen Freizeitausgleich auf Dauer nicht gut arbeiten. Sie treffen langfristig schlichtweg immer schlechtere Entscheidungen. Auch das ist gut belegt. Wie wäre es also, den 8-Stunden-Tag auch wirklich als solchen zu begreifen? Damit wäre eine bessere Work-Life-Balance von vornherein gesetzt.

Wo der Trend hingeht

Ein Blick in die Medien zeigt, dass die Rufe nach einer besseren Work-Life-Balance inzwischen still und heimlich durch das Prinzip des Wellbeing, zu Deutsch des Wohlbefindens im Job, abgelöst werden. Starre Kernarbeitszeiten sind nicht mehr zeitgemäß, schließlich macht die Digitalisierung das Arbeiten beinahe von überall aus und zu jeder Zeit möglich – Unternehmen sollten hier maximale Flexibilität ermöglichen. Andere Aspekte, die am Arbeitsplatz im Zuge dessen umso wichtiger werden, sind vor allem Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, also mehr Autonomie als Voraussetzung für einen hohen Wohlfühlfaktor im Büro. Dabei sollte man aber auch hier darauf achten, dass die Balance stimmt. Flexibilität sollte sich letztlich auch nicht über 24 Stunden am Tag erstrecken.

Infografik Work-Life-Balance
Durchschnittszahlen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass die Work-Life-Balance zwar für die Mehrheit der Deutschen bei der Berufswahl entscheidend ist, aber auch, dass rund ein Viertel der Beschäftigten generell unzufrieden ist und unmotiviert in die Arbeit geht. Dazu kommen neue Arbeitsmodelle, die Überstunden sozusagen „erleichtern“. Es benötigt dringend sowohl neuer Strukturen als auch ein Wiederaufleben grundlegender Werte, zu denen auch die „Work-Life-Balance“ gehört.

Work-Life-Balance, Wellbeing, Work-Life-Blending, New Work… All diese modernen Buzzwords laufen letzten Endes im Kern auf einen Gedanken hinaus: Die Hoffnung auf eine gesunde Lebensweise im Berufs- wie Privatleben. Mitarbeiter:innen wünschen sich im Job möglichst flexible Arbeitsmodelle, gekoppelt mit einem hohen Entscheidungsspielraum, um sich bei der Arbeit wohl zu fühlen, gute Leistungen zu erzielen sowie Job und Privates gut auszubalancieren. Und Arbeitgeber? Wünschen sich motivierte und vor allem gesunde Mitarbeiter:innen.

Gerade in unsicheren Zeiten einer globalen Pandemie ist eine gesunde Work-Life-Balance umso wichtiger geworden. Daher glauben wir: Ausgeglichene Menschen gehen motivierter zur Arbeit und machen einfach einen besseren Job. Lassen Sie ihn uns also wieder ausgraben, den Begriff der „Work-Life-Balance“ – und wenn es uns „nur“ dabei hilft, zu unserer eigenen Definition davon zu kommen und entsprechend zu handeln. Dann darf man es auch nennen, wie man möchte.


Zu guter Letzt

Glaubt man einer Studie der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD), so bieten die Niederlande die beste Work-Life-Balance. Nur circa 0,5 Prozent der Arbeitnehmer:innen machen hier Überstunden. Zum Vergleich: Der allgemeine Durchschnitt liegt bei 13 Prozent.
Besonders schwer hingegen mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben haben es vor allem Kolumbien und Mexiko.


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Stand des Artikels: 16.12.2021
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion
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