Über die Kraft des Widerstands: Was uns Resilienz im Alltag bringt

Jeder Mensch ist anders. Und jeder Mensch geht anders mit schwierigen Situationen um. So viel wissen wir. Und dennoch wundert man sich doch immer wieder über die Personen, die in Stresssituationen ruhig bleiben, die Lage im Blick haben und gleichzeitig voranbringen. Das Zauberwort lautet: Resilienz. Menschen mit einer stark ausgeprägten Resilienzfähigkeit haben aber nicht zwangsweise einfach eine gute Veranlagung; Studien zeigen, dass jede(r) die Möglichkeit hat, resilient im Alltag zu werden.

Was bedeutet Resilienz?
Als „resilient“ bezeichnet man Menschen, die ein starkes mentales Immunsystem besitzen. Das heißt, sie können Krisen und Stress gelassener begegnen, bewältigen und oftmals sogar daran wachsen. Dabei ist Resilienz eine Fähigkeit, die erlernbar ist.

Resilient ist, wer unbeschwert durchs Leben geht. Resilient ist, wer täglich meditiert. Resilient ist, wer sich die Dinge nicht allzu sehr zu Herzen nimmt. All das sind valide Annahmen, die man zu hören bekommt, wenn man andere nach der Bedeutung von „Resilienz“ befragt. Und doch steckt viel mehr hinter dem Begriff – und in ihm. Denn er ist so individuell wie der Mensch selbst. Es gibt Personen, deren Veranlagung sie seit Kindesalter resilient gegenüber Krisen macht, andere gewinnen die mentale Widerstandskraft im Laufe ihres Lebens. Denn, und so eine der wichtigsten Erkenntnisse unserer Recherche, Resilienz kann trainiert werden. Wie das geht und warum es so wichtig für unsere Gesundheit ist, eine resiliente mentale Haltung einzunehmen, erfahren Sie hier.

Resilienz und ihre Erfolgsgeschichten

Die Psychologie beschreibt all die Menschen als „resilient“, die psychisch widerstandsfähig sind. Das heißt, sie besitzen ein starkes mentales Immunsystem, das sie dabei unterstützt, Krisen gut zu bewältigen und sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Dank ihrer psychischen Widerstandskraft reagieren sie damit unempfindlicher auf Stress, Frust und weitere psychische Belastungen; statt an ihnen zu verzweifeln, meistern sie sie. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass resiliente Menschen nicht scheinbar sorgenfrei durchs Leben gehen, wie man vielleicht vermuten mag. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Sie scheuen keine schwierigen Situationen, sondern begegnen ihnen aktiv und wachsen so an ihnen.

Resilienz ist daher nicht zuletzt eine Qualität, die vor allem auch viele erfolgreiche Personen besitzen. Zu den berühmtesten Beispielen gehört wohl Walt Disney. Zu Beginn seiner Laufbahn bekam der Animator vielfach zu hören, er habe kein Talent. Aber er gab nicht auf, an sich und seine Vision zu glauben. Der Rest ist Geschichte: Disney gründete 1923 sein eigenes Studio, das bis heute weltbekannt ist. Resilienz kann mach auch dem Unternehmer Jeff Bezos zusprechen. Der Amerikaner gründete im Jahr 1994 bekannterweise den Online-Versandhandel Amazon. Doch der Start war alles andere als lukrativ: Als erstes Büro diente ihm seine eigene Garage, als Schreibtisch eine alte Tür. Auf seinem Weg dahin, sein Ziel zu erreichen, musste er auch lernen, zu scheitern. Die Webseite pets.com beispielsweise, in die Bezos investierte, bewies sich schnell als Flopp. Dem gescheiterten Versuch und den widrigen Umständen zum Trotz, ließ Bezos sich aber nie von seinem Kurs abbringen. Was daraus geworden ist: Die Plattform Amazon ist aktuell weltweiter Marktführer im Onlineversand und Bezos der zweitreichste Mensch der Welt (lt. „Forbes"-Liste 2022). Heute sagt er: „You have to be willing to fail if you really want to innovate and succeed in business” (dt.: „Wenn man im Beruf wirklich innovativ und erfolgreich sein will, muss man dazu bereit sein, zu scheitern“).

Was bedeutet Resilienz: Über Physik und Psychologie

Hätten Sie es gewusst? Der Begriff „Resilienz“ (von „resilire“ = „zurückprallen“) kommt ursprünglich gar nicht aus der Psychologie, sondern aus der Physik, genauer gesagt der Werkstoffkunde. Er beschreibt die Beschaffenheit von Elementen, wie zum Beispiel Gummi, die nach extremer Außeneinwirkung in ihre ursprüngliche Form zurückkehren. Erst in den 1970ern wurde diese Eigenschaft in der Psychologie konkret auf den Menschen übertragen. Demzufolge haben resiliente Personen eine starke Widerstandskraft gegenüber Gegebenheiten, die auf sie einprallen und erholen sich schnell wieder von ihnen. Ihre Kernmerkmale: selbstbewusst, gelassen, humorvoll, zielorientiert und selbstreflektiert.

Hintergründe zu Forschung und Bewertungsskala

Zur Bewertung der persönlichen Resilienz gibt es in Deutschland eine sogenannte Resilienzskala. Ihre Kurzversion enthält 13 Fragen, die auf einer Skala von eins (ich stimme nicht zu) bis sieben (ich stimme völlig zu) beantwortet werden. Die daraus resultierende Punkteanzahl ergibt in ihrer Summe eine Einschätzung der persönlichen Resilienz. Dabei wird unter anderem die eigene Standfestigkeit abgefragt (z.B. durch Fragen wie „Ich lasse mich nicht so schnell aus der Bahn werfen“), das Selbstwertgefühl („Ich mag mich“) sowie der Umgang mit Alltagssituationen („Ich nehme die Dinge, wie sie kommen“).

In der Forschung beschäftigt man sich bereits seit den 50er Jahren mit dem Phänomen der Resilienz. Damals führte die amerikanische Psychologin Emmy Werner die „Kauai-Studie" durch, eine Langzeitstudie über das Verhalten hawaiianischer Kinder. In diesem Rahmen begleitete Werner insgesamt 700 Kinder von ihrer Geburt bis zu ihrem 40. Lebensjahr. Rund ein Drittel von ihnen wuchs unter schwierigen Bedingungen auf. Was sie dabei beobachten konnte: Von diesem Drittel erholte sich wiederum rund ein Drittel im Laufe ihres Lebens erstaunlich gut davon. Damit widerlegte sie die Annahme, dass Kinder, die unter schweren Bedingungen aufwachsen, sich auch im weiteren Leben schlecht entwickeln. Darüber hinaus stellte sie fest, dass auch Probanden, die im Jugendalter durch negatives Verhalten auffällig wurden, ihr Leben durch Verhaltensänderungen wieder in bessere Bahnen lenken konnten. Resilienz ist damit nicht rein „in die Wiege gelegt“ – die Fähigkeit kann erlernt und jederzeit abgerufen werden.

Volkskrankheit Stress: Warum Resilienz wichtig für unsere Gesundheit ist

Wie wichtig Resilienz für unser Leben ist, zeigt sich auch an ihren Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Wie man aus der Evolutionstheorie des britischen Naturforschers Darwin sinngemäß ableiten kann, ist Resilienz eine Überlebenskraft – bis heute. Denn was uns in unserer heutigen Gesellschaft mitunter am meisten zu schaffen macht, ist vor allem eins: Stress. Eine Volkskrankheit, die sowohl die körperliche als auch psychische Gesundheit angreift.

Als „Stress“ bezeichnen wir eine evolutionär bedingte Reaktion auf bedrohliche Situationen. In diesem Zusammenhang schüttet unser Körper Stresshormone aus, die uns entweder zu Kampf oder Flucht animieren. Fehlt die Möglichkeit, diese dadurch bedingten Anspannungen zu lösen, macht Stress krank. Die gesundheitlichen Folgen reichen von Rücken- und Kopfschmerzen bis hin zu Angststörungen und dem Burnout-Syndrom. Wie weit verbreitet Stress in unserer Gesellschaft ist, zeigt eine umfangreiche Studie der Techniker Krankenkasse aus dem Vorjahr. Ihr zu Folge ist aktuell jeder vierte Deutsche häufig gestresst. Die prävalente Ursache liegt dabei vor allem im Arbeitsalltag.

Der Einfluss von Resilienz auf die körperliche und mentale Gesundheit

Bereits aus der Definition des Begriffs „Resilienz“ selbst erklärt sich, dass Menschen mit einer höheren mentalen Widerstandskraft nicht so stark unter Stress leiden und damit auch nicht so anfällig für damit verbundene Krankheiten sind. Darüber hinaus hat die Resilienzforschung aber auch noch weitere Zusammenhänge zwischen Resilienz und Gesundheit feststellen können. In einer 2018 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Studie [„The association between resilience and mental health in the somatically ill—a systematic review and meta-analysis"] wurde belegt, dass Menschen mit einer stark ausgeprägten Resilienz auch körperlich gesünder sind. Dazu wurden rund 15.000 Patient:innen einbezogen, die physisch erkrankt waren. Der Studie lag die Vermutung zu Grunde, dass Resilienz nicht nur einen Einfluss auf die psychische, sondern auch auf die körperliche Gesundheit hat. Die Forscher:innen stellten fest: Wie wir körperlichen Belastungen mental entgegentreten, kann den Erfolg der Behandlung beeinflussen. Ebenfalls ergab sich auch ein positiver Zusammenhang zwischen Resilienz und Lebensqualität im Allgemeinen.
Diese Annahme unterstützen auch Untersuchungen speziell zur Corona-Pandemie, die die Verbindung zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit belegten. Demnach hatten Resilienzfaktoren einen signifikanten positiven Einfluss auf das Wohlbefinden während der Pandemie, darunter speziell Optimismus, Selbstfürsorge, Akzeptanz und Zukunftsorientierung.

Wie werde ich resilient im Alltag? Zehn Beispiele erlernbarer Verhaltensmuster

So viel zur Theorie. Was aber, wenn man selber diese Eigenschaften nicht besitzt? Kann man Resilienz wirklich im Alltag trainieren? Die Forschung sagt dazu: ja! Expert:innen sind inzwischen davon überzeugt, dass Resilienz erlernbar ist. Was man dafür tun muss? Die amerikanische Psychologenvereinigung (American Psychological Association, APA) hat dazu eine Roadmap unter dem Titel „The Road to Resilience“ (dt.: „Der Weg zu Resilienz“) herausgegeben. Zu den wichtigsten Verhaltensweisen, die Resilienz stärken, gehören demnach:

  1. Fördern Sie soziale Kontakte: Dazu gehört vor allem auch die Eigenschaft, andere um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen. Ebenso förderlich ist es, im Gegenzug auch für andere da zu sein. So können wir aneinander und miteinander wachsen.
  2. Lernen Sie, Krisen nicht als unüberwindbares Problem zu sehen: Auch wenn wir einige Situationen nicht ändern können, so können wir dennoch selbst bestimmen, wie wir damit umgehen.
  3. Akzeptieren Sie Veränderungen: Im Laufe des Lebens treten viele Veränderungen auf, die oftmals nicht zu ändern sind. Wenn man lernt, diese Tatsache zu akzeptieren, fällt es leichter, sich darauf zu konzentrieren, wie man aus den aktuellen Gegebenheiten das Beste machen kann.
  4. Setzen Sie sich realistische Ziele: Anstatt sich auf zu große oder zu weit entfernte Ziele zu fokussieren, kann es hilfreich sein, sich kleinere Meilensteine oder Zwischenziele zu setzen und so Schritt für Schritt auf sie zuzugehen.
  5. Handeln Sie mit Entschlossenheit: Krisen sollte man sich nicht machtlos hingeben und darauf hoffen, dass sie bald vorbeiziehen. Wer ihnen mit konkreten Handlungen die Stirn bietet, kann aus ihnen lernen und sich weiterentwickeln.
  6. Nutzen Sie jede Situation zum Zweck der Selbstentwicklung: Wer Krisen aktiv begegnet und aus ihnen lernt, tritt kommenden schwierigen Situationen entsprechend gestärkt entgegen – und entwickelt sich stets mit ihnen weiter.
  7. Lernen Sie sich selbst zu schätzen: Wer an sich selbst und an seine eigenen Kompetenzen glaubt, stärkt seinen Instinkt und gleichzeitig die persönliche Resilienz.
  8. Verlieren Sie nie die Perspektive: Gerne gewinnen schwierige Situationen eine zu große Gewichtung. Dadurch verliert man den Blick auf das große Ganze. Es ist hilfreich, sie stets in ihren jeweiligen Kontext und somit auch in Relation zu stellen.
  9. Praktizieren Sie Optimismus: Glauben Sie daran, dass gute Dinge passieren werden. Wer mehr an das denkt, was er/sie sich im Leben wünscht, als an das, wovor man sich fürchtet, stärkt die eigene Widerstandsfähigkeit nachhaltig.
  10. Geben Sie auf sich selbst Acht: Hören Sie darauf, was Ihnen guttut. Das können sowohl körperliche Signale sein als auch mentale. Wer sich körperlich fit hält und sich öfter etwas Gutes tut, ist besser für Situationen gewappnet, in denen er/sie gefordert wird.
Wer im Alltag resilienter sein möchte, kann dies üben. Die American Psychological Association gibt in ihrer Anleitung zur Resilienz zehn Verhaltensweisen an, die wir trainieren können, um die mentale Widerstandskraft auszubauen und zu stärken.

Wie alle gesundheitsfördernden Maßnahmen, sind auch diese individuell. Jeder Mensch sollte im Rahmen seiner kulturellen und sozialen Umstände seinen/ihren besten Weg hierhin finden. Grundsätzlich rät Ursula Nuber, Diplompsychologin, Psychotherapeutin und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift „Psychologie heute": „Ganz wichtig ist es, nicht in selbstschädliches Grübeln zu verfallen. Die Gedanken, die wir uns zu einem Geschehen machen, verursachen Gefühle - und diese wiederum leiten unser Handeln."

Resilienztraining wird auch in extremen Belastungssituationen eingesetzt

Dass Resilienz auch in extremen Situationen entlastend wirken und für diesen Zweck erlernt werden kann, bestätigt die Forschung von Martin Seligman. Seligman, der Begründer der positiven Psychologie, prägte im Rahmen einer Studie mit Soldaten und Soldatinnen der U.S. Army den Begriff des „post-traumatic growth“ (dt.: „posttraumatisches Wachstum“). Damit beschreibt der Psychologe das Phänomen, wenn manche Menschen unter extremen Belastungen wachsen, während andere darunter leiden und teils dadurch erkranken. Dabei haben Seligman und sein Team das sogenannte „Master Resilience Training“ entwickelt, das die Soldaten und Soldatinnen hinsichtlich ihrer Resilienz stärken soll, um sie für unabdingbare, extreme Belastungssituationen zu wappnen und so im Umkehrschluss auch ihre mentale Gesundheit schützt.


Zu guter Letzt:

Die resilienteste Kreatur auf der Erde ist nicht die größte – ganz im Gegenteil: Sie ist kaum größer als einen Millimeter. Wissenschaftler fanden heraus, dass das sogenannte Bärtierchen (Tardigrada) alle Zeiten und Gezeiten überlebt. Seine Spuren führen circa 530 Millionen Jahre zurück. Das scheinbar unzerstörbare Tier kann sowohl im Wasser, in extremer Hitze oder Kälte und sogar im Weltall überleben. Wie? Es passt sich stets den Begebenheiten an. So kann es beispielswese seinen Stoffwechsel so stark reduzieren, dass es keine Nahrung mehr benötigt. Man geht davon aus, dass sie in diesem Zustand rund 100 Jahre gut überleben können.


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Stand des Artikels: 21.06.2022
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion

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