Quiet Quitting – Gen-Z-Trend oder echte Chance für die Mental Health?

Quiet Quitting – nicht nur aktive TikTok-Nutzer:innen sind in den letzten Monaten mit dem Konzept in Berührung gekommen. Vor allem die Generationen Z und Y haben dazu beigetragen, dass diese Einstellung zur Arbeit ein regelrechter Trend wurde. Doch es steckt mehr hinter dem Begriff, als er vermuten lässt.

Quiet Quitting meint nicht den schleichenden Prozess des Kündigens. Es geht darum, sich von der Idee zu verabschieden, man müsse im Job zusätzliche Arbeit leisten, für die man nicht angestellt ist, um wertgeschätzt zu werden.

Obwohl die wortgetreue Übersetzung „Stilles Kündigen“ wäre, meint ‚Quiet Quitting‘ aber nicht, mental schon mit dem aktuellen Job abgeschlossen zu haben. Vielmehr geht es darum, sich von der Idee zu verabschieden, im Job immer mehr als 100% zu geben und ständig verfügbar zu sein. Dieses Phänomen, also das Immer-Mehr-Arbeiten, wird im Englischen umgangssprachlich auch ‚Hustle Culture‘ genannt genannt und es beschreibt gerade für viele junge Arbeitnehmer:innen leider den Arbeitsalltag. Oft bekommen wir durch Posts mit vielen Likes auf LinkedIn oder Zitate von erfolgreichen Geschäftsleuten das Gefühl vermittelt, wir hätten unseren Job nur verdient, wenn wir mehr leisten, als alle anderen.

Hustle Culture ist problematisch

Genau das war irgendwann auch zu viel für einen populären TikToker, der sich Zaid Zeppelin nennt. In seinem Video schlägt er vor: "Du kündigst nicht deinen Job, arbeitest aber nicht mehr als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben, dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität." Das Video ging viral und Quiet Quitting war in aller Munde.

Die sogenannte Hustle Culture ist in unserer heutigen Arbeitswelt zwar sehr verbreitet, kann aber eine echte Gefahr für die mentale Gesundheit darstellen. Informationsquelle: Talkspace.

Zwar kommt das Video aus den USA, (wo die Menschen im Schnitt wöchentlich noch mehr arbeiten, als in Deutschland) aber auch ein Blick auf die deutsche Arbeitswelt zeigt eine zu hohe Belastung durch den Job. Arbeitnehmer:innen, die in Vollzeit angestellt sind, arbeiten durchschnittlich 40, 5 Stunden pro Woche und die Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund von Burnout und anderen psychischen Belastungen steigen seit Jahren stetig an. Kein Wunder also, dass 34% der Deutschen sagen, dass sie nach dem Prinzip Quiet Quitting arbeiten.

Wie schlimm steht es um unsere Arbeitswelt?

Wenn man „Quiet Quitting Gründe“ googelt, fällt eines sofort auf: die meisten Beiträge stellen Quiet Quitting als ein gefährliches Trendphänomen dar, das scheinbar aus dem Nichts kommt und der Arbeitgeber unbedingt unterbinden muss. Warum jetzt?
Es ist in unserer Gesellschaft inzwischen quasi normal geworden, für die Arbeit zu leben. Viele müssen das auch, die Mieten und Lebenserhaltungskosten werden immer teurer. Aber es geht dabei immer noch um mehr, als nur Geld: Wir sollen uns (scheinbar) über unseren Beruf identifizieren. In großen Unternehmen werden Mitarbeiter:innen in ‚High Performer‘ und ‚Underperformer‘ eingeteilt, es ist immer noch gang und gäbe, mit Überstunden anzugeben; irgendwie hat man ständig das Gefühl: Wenn du einfach deinen Job machst, machst du zu wenig. Der Druck, immer die ‚Extra Mile‘ zu gehen (dt.: mehr zu leisten, als von einem erwartet wird, um etwas zu erreichen) ist riesig.

Aber die Wahrheit ist doch, niemand kann mindestens 40 Stunden pro Woche arbeiten und nebenbei noch Care Arbeit leisten [dt. „Fürsorgearbeit“, Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns, z.B. Kinderbetreuung, Altenpflege, familiäre Unterstützung, oder auch Hilfe unter Freund:innen ), Hausarbeit verrichten, sich regelmäßig bewegen, soziale Kontakte pflegen und dabei genug schlafen – mindestens eine Sache bleibt immer auf der Strecke.

Die 40-Stunden-Arbeitswoche ist eigentlich nicht in Stein gemeißelt - tatsächlich zeigen Studien, dass kürzere Arbeitswochen die Motivation und Produktivität fördern würden. Informationsquelle: Business Insider.

Lichtblick Gen Z

Die Generation Z wird in den Medien oft als „arbeitsfaul“ betitelt. Dabei lebt sie der restlichen Bevölkerung eine fundamentale Fähigkeit vor – auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Psychologin Leonie Moske erklärt zum Beispiel in einem Interview mit dem SWR, dass das Bewusstsein für Selbstfürsorge und die eigenen Grenzen zu erkennen in der jüngeren Generation verbreiteter sei. Außerdem sei jungen Menschen die persönliche Entfaltung extrem wichtig – und das ist wiederum förderlich für den Erhalt der psychischen Gesundheit. Und auch Umfragen belegen, dass gerade die Gen Z nicht mehr mit den Werten der vorherigen Generationen übereinstimmt, wenn es darum geht, sich für den Job aufzuopfern.

Quiet Quitting und mentale Gesundheit

„Quiet Quitting isn’t really about quitting – it’s about burnout”, twitterte die Washington Post letzten August. Frei übersetzt: Bei Quiet Quitting geht es nicht wirklich um Kündigen – es geht um Burnout. Der soziale und finanzielle Druck, dem wir gerade in einer Wirtschaftskrise ausgeliefert sind, geht nicht spurlos an uns vorbei. Wer zur Zeit in einer von Deutschlands Großstädten lebt und Miete zahlt, kann sich das wohl kaum mehr ohne Vollzeitjob leisten. Dabei würde jede:r Zweite in Deutschland gerne weniger arbeiten. Kann das noch gesund sein?

Eine Studie von Calm Business zeigt, nein: Der Hauptgrund für psychischen Stress ist heute der Job. Die Realität ist also – Quiet Quitter wollen nicht kündigen, sie wollen sich selbst vor dem Ausbrennen schützen. Hier liegt die Verantwortung ganz klar auch beim Arbeitgeber. Präventive Burnout-Maßnahmen sind nicht nur ein netter Benefit, sondern müssen heutzutage unbedingt stattfinden und ernst genommen werden – und zwar in jedem Unternehmen.

Nicht zuletzt ist es ja so: Wenn ich im Job einfach das leiste, wofür ich bezahlt werde – naja, dann leiste ich ja genau das, wofür ich bezahlt werde.


Sagt Ihnen das ‚Imposter Syndrome‘ etwas? Auf Deutsch auch ‚Hochstapler-Syndrom‘ genannt, geht es hier um das Phänomen, dass Menschen denken, sie hätten ihre Erfolge nicht verdient, sondern sich lediglich „erschlichen“. Auch wenn das Syndrom keine psychische Störung, sondern eher ein Persönlichkeitsmerkmal ist, kommen etwa 70% der Menschheit in ihrem Leben mit dem Gefühl in Berührung. Dabei ist wichtig: Die Betroffenen geben in der Realität ihr Bestes, oder sogar mehr; die erlebten Selbstzweifel sind für Außenstehende in der Regel unbegründet. Wenn Sie also das nächste Mal im Job an Ihren Leistungen zweifeln, denken Sie doch einmal daran.


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Stand des Artikels: 19.06.2023
Die Autorin

Yvonne Müller

MEDISinn-Redaktion

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