Jubel, Tränen und Frust: Wieviel Gefühl verträgt der Job?

Der Mensch ist ein emotionales Wesen. Betreten wir aber unsere Arbeitsstelle, werden Gefühle oft zur Seite geschoben und stattdessen eine Maske aufgesetzt. Dabei bestätigen Expert:innen wie die Psychologin Dr. Eva Elisa Schneider: „Gefühle sind auch im Job wichtig.“ Wir haben mit ihr gesprochen und uns erklären lassen, wo die Grenzen liegen, welchen Vorteil positive und negative Emotionen im Job bringen und wie sich Gefühle in schwierigen Momenten steuern lassen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Menschen sind sich unsicher, ob und wie viel Gefühl sie im Arbeitsalltag zeigen dürfen. 42 Prozent geben an, dass Gefühle im Arbeitsalltag eine Rolle spielen sollten.
  • Gefühle sollten auch im Job einen Raum bekommen, denn sie sind ein wichtiger Kompass und weisen auf unsere Bedürfnisse hin.
  • Egal ob lachen oder weinen – Gefühle zu zeigen sorgt für eine bessere Verbindung zu anderen Menschen und die ist auch im Arbeitsleben wichtig.
  • In manchen Situationen ist es besser, das entsprechende Gefühl nicht direkt auszuleben. Es sollte allerdings auch nicht verdrängt werden, sondern zu einem späteren Zeitpunkt reflektiert und gegebenenfalls besprochen werden.
  • In herausfordernden Situationen, wenn z.B. Tränen oder Wut aufkommen, können bestimmte Strategien helfen, die Emotion erst einmal zu regulieren.
Frau freut sich sehr an ihrem Arbeitsplatz.
Oft sind wir uns unsicher, wie viel Platz Gefühle im Job haben – doch auch am Arbeitsplatz spielen sie eine wichtige Rolle für das Miteinander. Bildquelle: iStock/Anchiy

Wochenlang hat Emilia N. an dem wichtigen Projekt gearbeitet. Der Kunde ist hochzufrieden. Nach der Projektabnahme kommt Emilia zurück ins Büro und würde am liebsten laut jubeln. Aber sie verkneift es sich. Christian indes trennt sich von seiner Frau, die Scheidung läuft seit Monaten und raubt ihm Kraft und Nerven. Er ist traurig und voller Sorgen. Ins Meeting kommt er lächelnd und behauptet, alles sei bestens.

Diese zwei Beispiele sind ziemlich verschieden, aber beide zeigen gut, wie wir im Arbeitsalltag leben. Wir wollen professionell und souverän wirken und geben unseren Gefühlen nur wenig Raum. Statt sie auszuleben, setzen wir häufig eine Maske auf und begegnen einander so neutral wie möglich.

Gefühle im Job: Welche Rolle spielen sie?

Immer mehr Expert:innen empfehlen Konzepte wie „vulnerable leadership" [dt. „Empathisches Führen“], die Raum für Emotionen im Arbeitskontext einräumen. Doch im Alltag setzt erst langsam ein Umdenken um. Viele Menschen fühlen sich unsicher, ob und wie viel Gefühl sie im Job zeigen dürfen und halten sich zurück. In einer Umfrage unter 1000 Arbeitnehmer:innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sagen 42 Prozent, dass sie im Job eine Rolle spielen sollten. Mehr als jede:r Dritte gab an, dass das Zeigen von Emotionen nicht erwünscht sei im Unternehmen.

„Gefühle sind auch im Job wichtig“, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Eva Elisa Schneider aus Greven. Sie ist Expertin für mentale Gesundheit im Arbeitsleben. „Gefühle finden ja immer statt. Wir sollten ihnen auch im Arbeitsalltag einen Raum geben, denn sie sind wichtig für uns Menschen“, meint Schneider.

Welche Vorteile hat es, Gefühle im Arbeitsalltag zu zeigen?

Gefühle sind etwas zutiefst Menschliches. Gute wie negative Emotionen zu verdrängen, kann krank machen. Eva Elisa Schneider plädiert für mehr Offenheit im Job. „Gefühle sind wie ein Kompass und geben einen Hinweis auf unsere Bedürfnisse“, erklärt sie. Unsere Gefühle wahrzunehmen und unsere Bedürfnisse zu erkennen, halte uns psychisch stabil und gesund, so die Expertin.

In ihrem Buch über Emotionen am Arbeitsplatz (It's Always Personal: Navigating Emotion in the New Workplace) kommt die US-Autorin Anne Kreamer zu folgendem Fazit: Je authentischer und offener wir uns bei der Arbeit zeigen, umso produktiver und zufriedener sind wir. „Das stimmt“, sagt Schneider. „Wenn wir eine Maske tragen, verschwenden wir unsere Energie auf dieses Rollenspiel. Wenn wir aber wir selbst sein dürfen, können wir unsere Energie und Kreativität in die Arbeit stecken.“

Der offene Umgang mit Emotionen hat noch einen weiteren Pluspunkt: Sie sind echte Beziehungsmacher. „Gefühle sind die Basis für zwischenmenschliche Beziehungen. Je ganzheitlicher wir uns zeigen, umso stabiler sind die Bindungen, die wir mit anderen formen“, erklärt die Expertin. Wenn wir uns authentisch zeigen und auch Verwundbarkeit und Unsicherheit offenbaren, sei das die beste Basis für eine gute und lange Zusammenarbeit. Sich gemeinsam über das Erreichte zu freuen, den Meilenstein eines Projekts zu feiern oder die Erleichterung, wenn nach bangem Zittern alles geklappt hat – das schweiße als Team enorm zusammen. Ganz klar, wie offen jeder sein möchte, ist auch individuell verschieden und hängt von der Persönlichkeit und von der Stimmung im Team ab.

Und wo liegen die Grenzen?

Viele Menschen haben Sorge, dass sie im Job nicht mehr respektiert werden, wenn sie ihre Gefühle ausleben oder darüber reden. „Diese Sorge spielt sich meist nur im Kopf ab“, sagt Eva Elisa Schneider. „Es hängt natürlich vom Arbeitsumfeld, dem eigenen Charakter und der individuellen Situation ab.“ Bei einem Gespräch mit einem Kunden, bei der Betreuung von Mitarbeitenden oder wenn es darum geht, eine wichtige Präsentation zu erstellen, braucht es Konzentration auf die Arbeit. „Wenn man intensive Gefühle spürt, kann es in manchen Situationen auch sinnvoll sein, ihnen nicht sofort nachzugeben“, rät Schneider. Man kann dazu kleine Tricks anwenden, etwa in einen anderen Raum gehen oder nach draußen und einen Spaziergang machen. Der Fokus lässt sich auch durch gezielte Reize wie einem Eiswürfel auf der Hand oder lauter Musik gezielt verschieben.

Allerdings gibt die Psychologin zu Bedenken: „Gefühle wollen gefühlt werden.“ Selbst wenn es in dem Moment besser sei, nicht darauf zu reagieren, so sei es hilfreich, die Gefühle nicht komplett zu unterdrücken. Wer große Unsicherheit spüre, etwa bei einem Projekt, tue gut daran, dies zu äußern. „Nur so können andere aus dem Team oder die Vorgesetzte erkennen, dass derjenige Unterstützung benötigt“, erklärt Schneider. Aber auch: Große Freude und Spaß an einer Aufgabe können Hinweise darauf geben, in welche Richtung man sich entwickeln und für welche Aufgaben und Projekte man eingeplant werden kann. „Unsere Gefühle mitzuteilen, gibt den anderen wertvolle Informationen“, sagt Schneider.

Wie gehe ich mit schwierigen Situationen um?

Wie kann man aber in schwierigen Momenten, in denen vielleicht Tränen oder Wut hochkommen, reagieren? „Es geht nicht darum, die Emotionen immer ungefiltert nach außen zu lassen. Wichtig ist erstmal, sie überhaupt wahrzunehmen“, erklärt die Psychologin. Wer beispielsweise in einem Meeting im Beisein von Kund:innen oder Kolleg:innen barsch zurechtgewiesen wurde, tut gut daran, die Situation erstmal stehenzulassen, statt wütend zu reagieren oder in Tränen auszubrechen. Dazu kann man diverse Strategien nutzen (siehe Infokasten unten).

„Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich dann das Gespräch suchen und erklären, wie es mir in der Situation ergangen ist“, rät Schneider. Gut, wenn das zu einem ruhigen Zeitpunkt und nicht zwischen Tür und Angel passiert und auch das Gegenüber Zeit bekommt, um sich vorzubereiten. Hilfreich können folgende Sätze sein: „Ich würde da gerne noch mal drüber sprechen“ oder „Wann können wir darüber reden?“ Schneiders Tipp: Nicht zu viel Zeit vergehen lassen, sondern möglichst bald versuchen, die Situation aufzuklären.

Wenn es einem möglich ist, kann es manchmal helfen, sich aus einer schwierigen Situation erst einmal herauszunehmen – und später das Gespräch zu suchen. Bildquelle: iStock/damircudic.

Umfragen zeigen, dass negative Gefühle im Job häufig in Verbindung mit der Arbeit, den Kolleg:innen oder dem oder der Chef:in stehen. Wichtig ist es, dem Gefühl nachzugehen und es nicht verdrängen zu wollen. Im ersten Schritt heißt es, gezielt zu hinterfragen, was die Ursache für diese Emotionen sind: Ist es beispielsweise die Kollegin, die das Projekt weggeschnappt hat? Ist es Frust, weil die allgemeine Arbeitslast zu hoch ist oder Unzufriedenheit über die Bezahlung? Oder werden persönliche Ängste oder Gedanken getriggert? Im nächsten Schritt kann man mit der oder dem Vorgesetzten oder Kolleg:innen über Veränderungen sprechen. Das erfordert häufig Mut, aber Dinge anzusprechen ist die Voraussetzung dafür, dass sich etwas verändern kann.

Wenn mehr dahintersteckt – mit Krisensituationen arbeiten

Auch private Krisen oder Herausforderungen können emotional belasten und im Joballtag zutage treten. Am besten macht man morgens einen persönlichen Check-in und hinterfragt, ob man überhaupt arbeitsfähig ist. Wenn nicht, kann es helfen, sich Kolleg:innen oder dem oder der Chef:in anzuvertrauen. Dabei ist es nicht notwendig, im Detail Auskunft zu geben.

Über Schwierigkeiten und Krisen zu sprechen ist ein Zeichen von Vertrauen und hilft den anderen, das eigene Verhalten einordnen zu können. Schneiders Rat: Betroffene sollten klar sagen, wie sensibel mit den Informationen umgegangen werden soll und wer davon erfahren darf.

„Auch der Betriebsrat oder HR-Verantwortliche können Ansprechpartner:innen sein. Sie müssen die Informationen vertraulich behandeln“, sagt Schneider. Falls hinter den traurigen Gefühlen, der Angst oder der Wut eine ernste Erkrankung steckt, sind sie ebenfalls gute Ansprechpartner:innen und können Betroffene unterstützen. Emotionale Belastungen sollten in dem Fall aber auch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin besprochen werden, falls eine Krankschreibung nötig ist.


5 SOS-Strategien für fordernde Situationen

In manchen Momenten kann es passieren, dass Gefühle übermächtig werden, etwa wenn sich Konflikte zuspitzen oder es im Miteinander Schwierigkeiten gibt. Verschiedene Strategien können dabei helfen, erst einmal zur Ruhe zu kommen:

  1. Machen Sie, wenn möglich, eine kurze Pause und verlassen Sie die Situation. Am besten tun Sie dies mit einem erklärenden Satz vorneweg wie „Ich muss mich kurz entschuldigen“ oder „Ich bin gleich wieder da“. Dann können Sie sich Raum verschaffen zum Durchatmen, Aufstehen, an die Luft gehen – auch einen kurzen, strammen Spaziergang um den Block machen kann helfen. Sportliche Aktivität schüttet im Körper nämlich das Glückshormon Oxytocin aus und reduziert Stresshormone.
  2. Hören Sie Ihre Lieblingsmusik. Musik hat einen Einfluss auf das empfundene Stressniveau und kann so auch körperliche Beschwerden mildern. Besonders fröhliche Musik hat einen positiven Effekt auf den Körper, beruhigende Musik fördert den Entspannungszustand.
  3. Verschaffen Sie Ihren Emotionen kurz und intensiv Ausdruck, wenn Sie allein sind – schreien Sie etwa lauthals oder springen Sie wortwörtlich im Quadrat – einfach raus damit.
  4. Lenken Sie sich mit äußeren Reizen ab. „Gefühle finden im Inneren statt. Diese bewusste Konzentration auf das Außen lenkt weg von den Gefühlen“, erklärt Eva Elisa Schneider. Beobachten Sie Ihr Umfeld und schauen oder hören genau hin. Nehmen Sie bewusst wahr, was die Kolleg:innen in der Mittagspause erzählen. Nehmen Sie sich Zeit für den Kaffee in der Pause oder das Mittagessen und spüren Geschmack und Geruch nach.
  5. Machen Sie eine kurze Atemübung zur Entspannung, zum Beispiel die 5-Finger-Atmung. So geht’s: Linke Hand öffnen. Beim Einatmen mit dem rechten Zeigefinger langsam den linken, kleinen Finger hochfahren. An der Spitze des Fingers den Atem halten, mit dem Finger auf der anderen Seite herunterfahren. In diesem Rhythmus alle Finger abfahren.

Fazit

Gefühle wurden lange als Störfaktor im Arbeitsleben gesehen, tatsächlich haben sie aber eine wichtige Funktion für unser Miteinander und Zusammenarbeiten. Wir sollten sie als willkommene Hinweise und Einladung zum Gespräch verstehen. Wer sich öffnet, kann sich als Person besser ins Team und auch ins Unternehmen einbringen und arbeitet so nicht nur effektiver, sondern auch noch zufriedener. Gefühle im Job zu zeigen, sorgt für Verständnis untereinander und schafft eine gute Basis für besseres Miteinander. In schweren Krisen oder bei heftigen Gefühlen kann es sinnvoll sein, sich erst einmal aus der Situation herauszunehmen und die Gefühle nicht sofort und ungefiltert zu äußern. Später kann man dann in Ruhe das Gespräch suchen – auch hier lohnt es sich, auf Offenheit zu setzen. Nur so können Kolleg:innen und Unternehmen optimal unterstützen.


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Stand des Artikels: 11.10.2023
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion
Die Autorin

Yvonne Müller

MEDISinn-Redaktion

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