Trauer am Arbeitsplatz: Wie Unternehmen damit umgehen sollten
Das Wichtigste in Kürze
- Trauer am Arbeitsplatz betrifft alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen – dennoch bleibt es häufig ein Tabuthema.
- Führungskräfte oder Personalverantwortliche sollten zunächst das Gespräch mit dem Trauernden suchen und seine/ihre individuellen Bedürfnisse abklären.
- Mitarbeiter:innen honorieren es, wenn Unternehmen in einer Krisensituation für sie da sind – dadurch wird die Mitarbeiterbindung nachhaltig gestärkt.
- Eine gesunde Trauerkultur kann dazu führen, dass die betroffenen Mitarbeiter:innen arbeitsfähig bleiben. Somit profitieren Unternehmen auch in finanzieller Hinsicht.
Es ist ein Thema, das früher oder später jede(n) von uns betrifft. Der Verlust eines/r nahen Angehörigen, einer guten Freundin/eines guten Freundes oder auch einer Arbeitskollegin bzw. eines Arbeitskollegen bedeutet für viele Menschen einen tiefen Einschnitt im Leben. Fest steht: Trauer ist zutiefst individuell. Jeder Mensch muss für sich herausfinden, wie man einen Verlust am besten verarbeiten kann und wie lange man dafür braucht.
Doch wenn Sterben, Tod und Trauer plötzlich den Arbeitsalltag überschatten, sind Unternehmen und deren Mitarbeiter:innen oft überfordert. Führungskräfte und Kolleg:innen sind verunsichert und wissen nicht, wie sie auf die betroffene Person zugehen sollen. Umgekehrt ist die Trauer bei dem Teammitglied, das einen Verlust erlitten hat, manchmal so groß, dass er/sie nicht in der Lage ist, wie gewohnt weiterzuarbeiten. Wie geht man mit so einer Situation am besten um? Was sind Gos und No-Gos? Und wo können sich Betroffene und Unternehmen Hilfe holen, wenn sie nicht mehr weiterwissen? Darüber haben wir uns mit der Trauerbegleiterin und Coachin Petra Sutor unterhalten. Sie hat über 20 Jahre lang in einem internationalen Konzern gearbeitet und ein Buch über „Trauer am Arbeitsplatz“ verfasst.
Expertin Petra Sutor im Interview
Frau Sutor, was macht Trauer mit uns Menschen?
Petra Sutor: Trauer ist sehr individuell – manche Menschen berappeln sich ganz schnell, andere wiederum brauchen länger, um über den Verlust hinwegzukommen. Eine entscheidende Rolle dabei spielt das soziale Umfeld – deshalb ist der Arbeitsplatz auch so wichtig. Für Trauernde ist es eine zusätzliche Belastung, wenn es keine Rahmenbedingungen im Unternehmen gibt, die das Trauern zulassen. In der Regel gilt in meiner Praxis: Je früher man dem Trauernden unterstützend zur Seite steht, umso besser geht es ihm auf seinem Trauerweg. Viele Menschen, die ihre Trauer verdrängen, bekommen oft körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magenprobleme oder Herzrasen. Bei manchen geht es ums blanke Überleben – es gibt Menschen, die morgens überhaupt nicht mehr aus dem Bett kommen, sich selbst kein Essen mehr zubereiten können und nicht mehr wissen, wo oben oder unten ist. Wir unterschätzen häufig, in welche Lebenskrisen Menschen geraten. Und das nicht nur emotional, sondern auch finanziell.
Wie sollte man am Arbeitsplatz mit einem Kollegen oder einer Kollegin umgehen, der/die einen Verlust erlitten hat?
Am besten spricht man die trauernde Person direkt an und fragt sie, welchen Umgang sie sich wünscht. Es gibt Trauernde, für die es wichtig ist, dass ihre Trauer Platz hat, sie wollen über den Verlust sprechen. Dann wiederum gibt es diejenigen, für die der Arbeitsplatz der einzige Ort ist, der noch Stabilität darstellt. Diese Menschen wollen nicht, dass alle halbe Stunde jemand in der Bürotür steht und nach dem Befinden fragt. Aber nur den Sprechenden kann geholfen werden, deshalb ist es wichtig, das Gespräch mit dem Trauernden zu suchen und seine individuellen Bedürfnisse abzuklären. Wichtige Fragen aus Unternehmenssicht können sein: Was können wir für dich tun? Brauchst du vielleicht reduzierte Arbeitszeiten oder auch eine längere Auszeit? Oder dürfen wir Trauerbegleitung für dich organisieren?
Wie lange dauert Trauer?
Trauer verläuft nicht linear, Trauer kommt und geht – und manche Trauer geht nie. Stellen wir uns vor, das eigene Kind stirbt – wir werden für den Rest unseres Lebens traurig sein. Wir können es schaffen, dass das Leben auf eine andere Art wieder gut wird. Aber das Kind bleibt tot und deshalb bleibt auch die Trauer. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir alles schnell wegorganisieren wollen und in der es für jedes Problem eine Lösung geben muss. Aber die gibt es nicht, weil der Tod existenziell ist.
Früher gab es das erste Trauerjahr. Das hat man daran erkannt, dass die trauernde Person schwarze Kleidung getragen hat. Das erste Jahr, in dem wir lernen müssen, ohne jemanden klarzukommen – Urlaube, Geburtstage oder Weihnachten allein zu verbringen – ist besonders schwierig. Wenn es ein tiefgreifender Verlust war, dauert es auch noch das zweite Jahr, um die Trauer so zu integrieren, dass ein Leben ohne den vermissten Menschen wieder möglich wird. Und wir dürfen auch anerkennen, dass es immer wieder Menschen gibt, die auch langfristig keinen heilsamen Trauerweg gehen können.
Haben Sie Empfehlungen für Unternehmen, wie sie kondolieren und einen Todesfall eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin kommunizieren sollten?
Ein Unternehmen sollte eine menschliche und wertschätzende Haltung haben. Sie kommt zum Ausdruck, indem man persönlich und individuell kommuniziert und eben nicht eine Vorlage aus der Schublade herausholt, nur den Namen austauscht und immer den gleichen Text schreibt. Mitarbeitende beobachten sehr genau, was geschrieben wird, wenn jemand aus den eigenen Reihen verstirbt, egal in welchem Alter. Und deswegen ist es so wichtig, Wertschätzung und Persönlichkeit mit einfließen zu lassen. Die Loyalität von Mitarbeitenden wächst enorm, wenn ein Unternehmen sich in einer echten Lebenskrise unterstützend zeigt – dadurch wird die Mitarbeiterbindung nachhaltig gestärkt.
Das ist ein interessanter Punkt. Wie profitieren Unternehmen noch, wenn sie ihre Mitarbeiter:innen in Trauersituationen unterstützen?
Auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht zahlt es sich aus, wenn sich Firmen um ihre trauernden Mitarbeiter kümmern. Denn ein achtsamer und individueller Umgang oder sogar das Hinzuziehen von Trauerbegleitung kann dazu führen, dass die Mitarbeiter nicht über mehrere Monate hinweg ausfallen. Insofern ist es für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Win-win-Situation, wenn eine gute Unterstützung durch das Unternehmen gewährleistet ist und kein Kontrollverlust auf allen Seiten stattfindet.
Was können Arbeitgeber tun, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Unternehmens verstirbt. Welche Rituale können der hinterbliebenen Belegschaft helfen, mit dem Verlust besser zurecht zu kommen?
Eine Abschiedsfeier, ich nenne es Lebensfeier, ist eine gute Idee. Dabei kommen Menschen zusammen, die diese Person kannten und daran erinnern, welche Spuren der- oder diejenige hinterlassen hat. Ein Kondolenzbuch mit einem Foto des Verstorbenen, das im Unternehmen ausliegt, hilft ebenfalls dabei, einen guten Umgang mit dem Verlust zu finden. Ich habe auch sehr gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die Kolleginnen und Kollegen bei der Lebensfeier Anekdoten über die verstorbene Person erzählen – so entsteht eine unglaublich positive Energie. Wir unterschätzen oft, wie viele Freundschaften es in Unternehmen gibt. Manche Kollegen arbeiten viele Jahre lang zusammen – da entstehen auch persönliche Verbindungen. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Arbeitsplatz kein emotionsfreier Raum ist.
Wie gut sind Unternehmen auf Trauerfälle vorbereitet: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Firmen sind ganz unterschiedlich gut vorbereitet. Manche lassen sich zu dem Thema Krisen und Sterben schulen. Das allein reicht meiner Erfahrung nach allerdings nicht – das hat auch mit einer guten Unternehmenskultur zu tun. Wie wertschätzend und achtsam gehen wir miteinander um. Wenn man sich Unterstützung von außen holen möchte, sollte man darauf achten, dass die betreffende Person einerseits Erfahrung in der Trauerbegleitung hat und andererseits Kenntnisse über Personalstrukturen und -prozesse besitzt. Beide Seiten sind wichtig, schließlich sollen nicht nur trauernde Kollegen abgeholt werden, sondern auch die Abläufe im Unternehmen funktionieren. Nächstes Jahr wird es ein Gütesiegel für Trauer am Arbeitsplatz geben – mit einer erfahrenen Kollegin gebe ich der großen Nachfrage seit meinem Buch „Trauer am Arbeitsplatz“ Raum. Wir möchten Mitarbeitende aus Unternehmen qualifizieren, mit solchen Situationen professionell umzugehen. Und hierbei geht es dann eben um mehr als Trauer.
Beim Thema „Trauer“ sprechen wir in der Regel über Todesfälle. Wäre es Ihrer Meinung nach angebracht, auch andere Formen des Verlusts wie etwa Trennungen im Arbeitskontext stärker zu thematisieren?
Immer wenn Menschen sehr belastet sind, ist es begrüßenswert, wenn Unternehmen dafür ein Angebot haben oder zumindest bei der betroffenen Person nachfragen: Wie ist denn gerade die Situation? Brauchst du Unterstützung? Denn wenn Menschen in Ausnahmesituationen geraten, werden sie instabil und das wirkt sich natürlich auch auf die Arbeit aus. Ich bin manchmal überrascht, wie lange es Trauernde schaffen, die Fassade aufrechtzuerhalten, aber irgendwann wird die Belastung zu groß und sucht sich ein Ventil. Deshalb ist es wichtig, Menschen in diesen Situationen zu begleiten.
Zum Schluss eine rechtliche Frage: Bei einem Todesfall im Familien- oder Bekanntenkreis sind zwei Tage Sonderurlaub vorgesehen. Reicht das aus?
Nein, das ist viel zu wenig – das reicht noch nicht mal für die Beerdigung. Die Realität sieht so aus, dass sich die Betroffenen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arzt holen. Deshalb finde ich es großartig, wenn die Firmen sagen: Wir geben dir so viel Sonderurlaub, wie du jetzt brauchst. Genauso kann man die Trauernden für eine Zeit aus den Bewertungssystemen herausnehmen. Das sind beides schöne Gesten. Frankreich und England beispielsweise bieten beim Tod eines Kindes zehn beziehungsweise 15 Tage Sonderurlaub – das zeigt, dass es auch anders geht.
Frau Sutor, vielen Dank für das Gespräch.
Wo Sie Hilfe finden: Lesetipps und Anlaufstellen
- Petra Sutor (2020): Trauer am Arbeitsplatz. Sprachlosigkeit überwinden – Fürsorgepflicht wahrnehmen – Trauerkultur entwickeln, Patmos: Mannheim.
- Die Handwerkskammer Koblenz hat einen Leitfaden zum Thema „Trauer am Arbeitsplatz“ herausgebracht, der hier zum Download bereitsteht.
- Telefonseelsorge: Hier gibt es Akuthilfe im Notfall. Unter den kostenfreien Telefonnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 kann man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit und mit jedem Problem und jeder Sorge melden.
- Trauer- und Selbsthilfegruppen: Gemeinsam stärker – so könnte das Motto der Trauer- und Selbsthilfegruppen lauten, die es in fast jeder größeren Stadt gibt. Oft sind die Gruppen spezialisiert, so finden sich z. B. Trauergruppen für Eltern, die ihr Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verloren haben oder Trauergruppen für Suizidtrauernde (deutschlandweite Angebote). Eine Übersicht finden Sie zum Beispiel hier.
- Trauercafés: Hier ist jede und jeder willkommen. Sie bieten einen offeneren Rahmen als Trauergruppen und die Gelegenheit, sich unverbindlich mit anderen Trauernden auszutauschen. Hier kann man gezielt nach einem Café in seiner Nähe suchen.
- Hilfsorganisationen wie die Malteser bieten ehrenamtliche Trauerbegleitung für Erwachsene, Kinder und Jugendliche an.
Fazit
Trauer am Arbeitsplatz ist ein Thema, mit dem früher oder später alle Arbeitnehmer:innen konfrontiert werden. Unternehmen sollten das Thema daher nicht ignorieren, sondern aktiv angehen und interne wie externe Beratungsangebote transparent kommunizieren und eine Art „Trauerkultur“ entwickeln. Gibt es im Unternehmen selbst keine Person, die mit dem Thema vertraut ist, sollten zumindest seriöse Anlaufstellen außerhalb des Betriebs bekannt sein. Langfristig gesehen steigern Betriebe mit einer fürsorglichen Trauerbegleitung auch die Arbeitgeberattraktivität. Denn Mitarbeitende wissen es zu schätzen, wenn sie auch in schwierigen Situationen auf die Unterstützung des Arbeitgebers zählen können und Werte wie Verantwortung und Mitgefühl aktiv gelebt werden.