Nach Bauchgefühl: Wie wir uns individuell gesünder ernähren

Wir alle kennen die „Regeln“: Bis zu fünf Mal täglich Obst und Gemüse essen, Süßes eher meiden. Auch in den Medien gibt es immer wieder neue Ernährungsempfehlungen. Doch nicht alle Essenstrends sind pauschal für Jede:n geeignet. Das Prinzip der personalisierten Ernährung beweist, dass jeder Mensch Nahrung unterschiedlich verstoffwechselt. Viele Forscher sind sich inzwischen einig, dass eine gesunde Ernährungsweise sprichwörtlich durch den Bauch geht. Er weiß meist genau, was gesund für uns ist.

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Ernährungsempfehlungen sind pauschal nicht für Jede:n von uns geeignet. Die Grundlage für eine gesunde Ernährungsweise liegt in unserem persönlichen Darm-Mikrobiom – und ist damit sehr individuell.
  • Der Darm entscheidet maßgeblich über unsere Gesundheit: Mit über 70% aller Abwehrzellen ist unsere Darmflora das Zentrum unseres Immunsystems. Gerät sie ins Ungleichgewicht kann das sowohl physische als auch psychische Folgen haben.
  • Das Prinzip der personalisierten Ernährung basiert auf der individuellen Zusammensetzung des Mikrobioms. Anhand diverser Tests konnten Typen definiert werden, die Essen unterschiedlich verstoffwechseln. Auf dieser Basis lassen sich personalisierte Ernährungsempfehlungen geben.
  • Umfragen belegen, dass ein Großteil der Menschen sich gesünder ernähren möchte und häufig Diäten ausprobiert. Viele erreichen ihre Diät-Ziele jedoch nicht, da es an individuellen Konzepten fehlt.
  • Gleichzeitig steigt die Tendenz für ernstzunehmende Krankheiten wie Diabetes weiter an. Zuckerfallen in kostengünstig hergestellten Massenprodukten wie Süßwaren, Fast Food und gezuckerten Getränken stellen eine große Gefahr für unsere Gesundheit dar – auch in Zukunft.
  • Erste Studien beweisen, dass personalisierte Ernährung zu einer gesünderen Lebensweise führt. Beteiligte zeigten langfristige Erfolge und neigen weniger dazu, zu stark verarbeiteten Massenprodukten zu greifen – mit nachhaltigem Erfolg.
Eine gesunde Ernährung basiert auf einem guten Bauchgefühl. Die aktuelle Forschung beweist: Individuelle Ernährungskonzepte, die auf den eigenen Stoffwechsel angepasst sind, führen zu einer gesünderen Lebensweise. Foto: istock/PeopleImages

So denkt und fühlt der Darm

Unser Darm gewinnt sicherlich keinen Schönheitspreis und würde auch nicht zum beliebtesten Organ gewählt werden. Doch oft vergessen wir, wie wichtig er für unsere Gesundheit und sogar Psyche ist – und wie schlau er ist. Unser Verdauungsorgan kann zum Beispiel denken: Viele Forscher sprechen daher auch vom sogenannten „Darmhirn“. Dieser Begriff bezeichnet die äußert komplexe Nervennetzstruktur des Darms, die er mit nur einem weiteren Organ gemeinsam hat: dem Gehirn. Der Darm kann aber auch fühlen: Er kann Zustände, wie beispielsweise Nährstoffmangel, im Körper erspüren und diese Information ans Gehirn weitergeben, damit wir darauf reagieren. Das heißt, unser Bauch informiert uns über diverse neuronale Signale darüber, was wir brauchen. Das können fehlende Vitamine sein oder auch schlichtweg zu wenig Nahrung, also Hunger. Wissenschaftlerin und Autorin Giulia Enders erklärt dazu in einem Interview mit ARD-alpha, dass 95% der Informationen, die zwischen Darm und Gehirn ausgetauscht werden, vom Darm ausgehen – und nicht andersherum. Der Darm gibt also in unserem Körper den Ton an. Oder hat Ihr „Bauchgefühl“ Sie schon einmal getäuscht?

Darm und Gehirn tauschen Informationen auf der sogenannten Darm-Hirn-Achse aus. Das enterische Nervensystem (ENS) des Verdauungstrakts und das zentrale Nervensystem (ZNS) des Gehirns können sich so gegenseitig beeinflussen. Erstaunlich dabei ist, dass rund 90% der Signale vom Bauch ausgehen. Deshalb sprechen Wissenschaftler/-innen auch vom "2. Gehirn" oder "Darmhirn". Bildrechte: istock/chombosan

Wie die Darmflora über unsere Gesundheit bestimmt – unser Immunsystem

Unser Magen-Darm-Trakt entscheidet im Minutentakt über unsere Stimmung, unsere Gefühle und vor allem: unsere Gesundheit. Ausschlaggebend dafür ist das Darm-Mikrobiom, das die Gesamtheit der im Darm lebenden mikrobiellen Gene bezeichnet. Unser Darm zählt dazu eine stolze Anzahl von rund 100 Billionen Bakterien und etwa 1.400 verschiedene Arten von Mikroorganismen, die unsere Verdauung regulieren und lebenswichtige Stoffe wie Vitamine produzieren. Häufig wird das Mikrobiom auch als Darmflora bezeichnet. Es ist die Heimat unseres Immunsystems. Mehr als 70% aller Abwehrzellen sitzen in unserem größten „Immunorgan“. „Wenn die Darmflora aus dem Gleichgewicht gerät, zeigt sich das oft durch eine erhöhte Infektanfälligkeit. Krankheitserreger wie Erkältungsviren, Durchfallerreger oder auch Pilze können sich dann leicht im Darm ansiedeln“, erklärt Gesundheitscoach Alexandra Engel.

Der Darm als „Stimmungsbarometer“

Studien zeigen, dass das Mikrobiom zudem auch unsere psychische Verfassung beeinflusst: So wurde bewiesen, dass Stress unser Mikrobiom verändert, indem er die Vielfalt der Bakterien vermindert. Ein ähnlich reduziertes Mikrobiom-Bild fanden Forscher auch bei Menschen mit Depressionen. Und da Darm und Gehirn in ständigem Austausch sind, gilt: Verändert sich die Darmflora, so verändert sich auch die Kommunikation mit dem Gehirn – und damit auch unsere Stimmung. Zusätzlich produzieren unsere Darmbakterien auch neuroaktive Substanzen wie bestimmte Hormone, die Einfluss auf unsere Verfassung haben: „Je nachdem, was wir essen, werden verschiedene Hormone und Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, im Körper gebildet. Und diese lösen dann wiederum im Gehirn verschiedene Reaktionen aus“, so Expertin Engel. „Bananen und Nüsse zum Beispiel regen die Produktion des Hormons Dopamin an, welches auch als sogenanntes ‚Glückshormon‘ bekannt ist.“

Unser Bauchgefühl täuscht uns nur selten: Durch neuronale Signale vermittelt unser Darm unserem Hirn, dass etwas fehlt, gut oder schlecht ist. Verändert sich unsere Darmflora, verändern sich auch die Signale und damit letztendlich auch unsere Verfassung - physisch und auch psychisch. Foto: istock/Carlo107

Jeder Mensch ist anders – und damit auch jeder Stoffwechsel

Dabei ist das Mikrobiom eine sehr persönliche Angelegenheit. Die Zusammensetzung ist nicht nur individuell, sie verändert sich auch ständig, abhängig von aktuellen Lebensumständen, der Ernährungsweise und vielen weiteren Faktoren. Womit wir auch beim ausschlaggebenden Punkt wären: Jeder Mensch ist anders. Und jeder Darm reagiert unterschiedlich auf einzelne Nahrungsmittel. So erklärt sich, warum Fruchtzucker bei Person A Übelkeit verursacht, Person B starke Bauchschmerzen bei glutamathaltigem Essen bekommt und Person C wiederum kein Gluten verträgt. Unser Mikrobiom ist der Grund dafür, dass wir die gleichen Nährstoffe unterschiedlich verstoffwechseln. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass nicht jede Ernährungsweise für Jede:n von uns gemacht ist. Denn was uns guttut und was wir brauchen, selbst wenn wir gezielt abnehmen wollen, liegt im Grunde lediglich in unserem eigenen Bauch begründet.

Bereits 2018 waren laut Umfrage über 70% der Menschen der Meinung, dass pauschale Ernährungsempfehlungen nicht das Beste für jede:n Einzelne:n sind. Das Interesse an dem Konzept der personalisierten Ernährung ist dementsprechend groß. Bild- und Informationsquelle: NEWTRITION X. Innovationsgipfel zum Thema Personalisierte Ernährung im Rahmen der Anuga in Köln - powered by foodRegio e.V.

Das Mikrobiom und das Prinzip der personalisierten Ernährung

Gewissermaßen bedeutet personalisierte Ernährung also nichts anderes als, auf den Bauch zu hören. Ging man zunächst davon aus, dass unsere DNA für unseren individuellen Stoffwechsel verantwortlich sein könnte, ist die Forschung inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass der Schlüssel dafür allein in unserem Mikrobiom liegt. Ein möglicher Ansatz der personalisierten Ernährung besteht darin, auf der Basis des Mikrobioms verschiedene Stoffwechseltypen zu definieren. Dieses sogenannte Nutritypen-Modell wurde anhand von Stuhl- und Bluttests sowie einer Langzeit-Blutzuckerkontrolle entwickelt. Typen mit ähnlichem Darmmikrobiom, so stellte sich heraus, verstoffwechseln Nahrung auch ähnlich. Beispielsweise gab es unter den Probanden unterschiedliche „Brottypen“: Bei manchen Teilnehmern:innen führte Weißbrot zu einem kontinuierlichen Blutzuckerspiegel, bei anderen verursachte es eher einen raschen An- und schnellen Abstieg, bis hin zur persönlichen Blutzuckergrenze. Auf der Basis dieser typabhängigen Ergebnisse lassen sich im Umkehrschluss individuelle Empfehlungen geben. Dabei können wir heute auch von den Fortschritten der Digitalisierung profitieren, da uns beispielsweise Apps dabei helfen können, unsere Gesundheit und Ernährung individuell zu tracken und so stets den Überblick zu behalten. Eine solche App für personalisierte Ernährung ist zum Beispiel „DayTwo“. Die innerhalb dieser Anwendung vermittelten Erkenntnisse basieren auf einer großangelegten wissenschaftlichen Studie des israelischen Weizmann-Instituts.

Weniger Massenprodukte, mehr bewusst gesunde Entscheidungen

Ziel der personalisierten Ernährung ist es, Menschen grundlegend gesünder zu machen und häufigen Krankheiten moderner Industriegesellschaften, wie zum Beispiel Diabetes, vorzubeugen. In diesem Zusammenhang geht der Trend auch weg von ungesunden, kostengünstig hergestellten Massenprodukten. „Gerade wenn es hektisch wird, greifen wir gerne zu sehr stark verarbeiteten Nahrungsmitteln, die wenig Vitamine und Mineralstoffe enthalten, dafür aber als Geschmacksträger viel Fett und Zucker“, sagt auch Ernährungscoach Engel. Ein Schokoriegel ist in stressigen Phasen zwar schnell zur Hand, handelsübliche Sorten beinhalten allerdings rund 6g Fett und 9g Zucker – das entspricht drei Stück Würfelzucker und deckt bereits rund ein Fünftel der gesunden Tagesration an Zucker ab. Das lässt unser Energielevel zwar kurzzeitig in die Höhe schießen – anschließend fällt es aber auch genauso schnell wieder. Die Folge: Man greift gern öfter mal in die Packung – und wird trotzdem nie wirklich satt. Kein Wunder, dass wir so oft schnell die empfohlenen Grenzwerte überschreiten: Der tatsächliche Zuckerkonsum bei Frauen liegt rund 40% höher als empfohlen, Männern überschreiten die Empfehlung etwa um 30%. Süßigkeiten, aber auch gezuckerte Getränke tragen hier die Hauptschuld. Eine der Folgen: Rund 560.000 Menschen erhalten Jahr für Jahr die Diagnose Diabetes.

Erschreckende Prognose: Aktuellen Schätzungen zufolge wird die weltweite Anzahl der Menschen mit einer Diabetes-Erkrankung bis 2045 um knapp 55% steigen. Bild- und Informationsquelle: © diabinfo.de (Helmholtz Zentrum München/Deutsches Zentrum für Diabetesforschung/Deutsches Diabetes-Zentrum Düsseldorf) Das nationale Diabetesinformationsportal diabinfo.de bietet zahlreiche weitere aktuelle, neutrale und wissenschaftlich geprüfte Informationen rund um die Erkrankung Diabetes.

Personalisierte Ernährung schreitet mit großen Schritten voran

Diäten sind heutzutage ein fester Bestandteil unseres Lebens, wie auch eine Umfrage der Techniker Krankenkasse von 2016 beweist. Diese Tendenz dürfte in den letzten Jahren nicht gesunken sein. Ein Drittel der Befragten gab dabei an, mindestens einmal jährlich eine Diät zu versuchen. Jede:r Zweite blieb dabei aber auf den Kilos sitzen. Ein Grund könnte folglich sein, dass Menschen mit allgemeinen Handlungsempfehlungen keinen oder nur wenig individuellen Fortschritt machen. In einer 2019 durchgeführten Umfrage von Food4Me, einem EU-finanzierten Forschungsprojekt verschiedener europäischer Universitäten, gab die Hälfte der Befragten an, sich grundsätzlich gesünder ernähren zu wollen. 24% haben dies aufgrund fehlender individueller Empfehlungen noch nicht geschafft: Sie wüssten schlichtweg nicht, wie sie ihre eigene Ernährung gezielt optimieren können. Und 57% der Befragten stimmten zu, dass Ernährung sich nicht pauschalisieren lässt. Dass das Konzept in Zukunft eine immer größere Rolle spielen könnte, zeigt sich daran, dass auch bereits große Hersteller mit ihm arbeiten. Man geht davon aus, dass der Trend sich bei den einzelnen Herstellern bis 2030 maßgeblich verstärken wird.

Individuelle Ernährungskonzepte unterstützen eine gesündere Lebensweise

Doch kann personalisierte Ernährung uns dabei helfen, unsere Einstellung zur Ernährung nachhaltig zu verbessern? Erste Studien sagen: ja. Menschen, die ihrem individuellen Konzept folgen, neigen demnach in der Tat dazu, weniger Fast Food und Co. zu sich zu nehmen und haben weniger Probleme damit, sich langfristig gesünder zu ernähren als diejenigen, die allgemeinen Diätempfehlungen folgen. Wer nicht auf die endgültigen Forschungsergebnisse warten möchte, der kann jetzt schon mehr auf das eigene Bauchgefühl hören und lernen, stärker auf die eigentlichen Signale im eigenen Körper zu hören. Dabei unterstützen kann vor allem auch eine individuelle Ernährungsberatung.

Fazit

Ernährung ist und bleibt ein sehr persönliches Thema. Das bestätigt die aktuelle Forschung. Es lohnt sich daher, wieder stärker auf den Bauch zu hören. Mithilfe von Ernährungsberatung und individuellen Konzepten lernen Sie, Ihrem Körper das zu geben, was für Sie gesund ist.


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Stand des Artikels: 20.09.2021
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion
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