Anhaltende Konzentrationsstörungen nach COVID-19 – was tun?
Das Wichtigste in Kürze
- Anhaltende Konzentrationsstörungen nach COVID-19 sind nicht die Regel, aber auch kein Einzelfall: Selbst bei leichten Verläufen kommen sie laut Studien bei bis zu 10 Prozent aller Patient:innen vor.
- Sie werden nach aktuellem Kenntnisstand vor allem durch länger anhaltende Entzündungsreaktionen in den das Gehirn versorgenden Gefäßen hervorgerufen.
- Bei Verdacht auf Konzentrationsstörungen nach COVID-19 sollte eine Abklärung und Diagnostik beim Arzt erfolgen.
- Konzentrationsstörungen lassen sich mit therapeutischen Maßnahmen wie Ergotherapie und neuropsychologischem Training in vielen Fällen wirksam behandeln.
COVID-19 kann in vielen Varianten vorkommen. Es gibt Menschen, die merken gar nicht, dass sie das Virus haben. Andere streckt es mehrere Tage nieder – und es bleibt etwas zurück. Wieder andere haben einen schweren Verlauf – und dann verschwindet alles wieder vollständig. Während Einzelne mit einem leichten Verlauf noch lange Zeit nach der Infektion mit den Folgen zu kämpfen haben. COVID-19 hat viele Gesichter, das ist eine Lehre der Pandemie.
Bleiben Symptome und Beschwerden länger als vier Monate bestehen, spricht man von Post-Covid. Über die Häufigkeit gehen die Schätzungen auseinander: Manche sprechen von bis zu 30 Prozent der Infizierten, es gibt aber auch Studien, bei denen weniger als fünf Prozent der Infizierten von länger, über die Infektion hinaus anhaltende Symptome berichten. Doch zwischen Post-Covid und einer kaum merklichen Erkrankung ohne Folgen gibt es eine Grauzone. So kann es etwa sein, dass nur einzelne Beschwerden zurückbleiben und das nicht über Monate, sondern nur über einige Wochen. Ein Symptom, bei dem das vergleichsweise häufig der Fall ist, sind Konzentrationsstörungen.
Konzentrationsstörungen nach COVID-19 sind keine Seltenheit
Eine schwer verlaufende COVID-19-Erkrankung mit Krankenhausaufenthalt macht es wahrscheinlicher, dass in den Wochen und Monaten danach noch Beschwerden wie Konzentrationsstörungen bestehen bleiben. Dieser Zusammenhang gilt mittlerweile als gesichert. Trotzdem kann es auch nach einem leichten Verlauf in den folgenden Wochen und Monaten dazu kommen. So zeigt etwa eine Untersuchung aus Norwegen, dass jede(r) 10. Norweger:in, der/die im Frühjahr 2020 nur leicht an COVID-19 erkrankt war, noch 8 Monate später über Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen klagte. Das Problem mit wissenschaftlich gültigen Zahlen ist hier: Nicht alle Untersuchungsteilnehmer:innen mit COVID-19-Erkrankung nehmen auch an den Folgebefragungen teil, die meist erst Monate nach der Infektion stattfinden. Bei der Untersuchung in Norwegen etwa nahmen an der Folgebefragung nur noch 75 Prozent der ursprünglich Befragten teil. Es liegt nahe, dass vor allem diejenigen, die keine Einschränkungen mehr haben, die Untersuchung abbrechen.
Nimmt man alle COVID-19-Patient:innenen zusammen – also auch diejenigen mit einem schweren Verlauf mit Krankenhausaufenthalt –, zeigen Studien leicht höhere Zahlen. So litten laut einer Erhebung von Forscher:innen der Humboldt-Universität Berlin 23,8 Prozent der Patient:innenen sechs Monate nach der akuten Erkrankung noch an Konzentrationsstörungen. Wie lange diese letztendlich anhalten, darüber lässt sich wegen des kurzen Zeitraums seit Anfang 2020 noch keine zuverlässige Aussage treffen. Allerdings gehen Forscher:innen davon aus, dass sich das Gehirn in den allermeisten Fällen erholt.
So äußern sich anhaltende Konzentrationsstörungen
Konzentrationsstörungen werden von Mediziner:innen zur Gruppe der sogenannten kognitiven – also die Gehirnleistung betreffenden – Defizite nach COVID-19 gezählt: Dabei kann das Planungsvermögen beeinträchtigt sein, die Gedächtnisfähigkeit und/oder die Sprachleistungen. In der Praxis bedeutet das, dass Betroffene bei normalen Alltags- und Berufsaktivitäten, die sie sonst gut bewältigen können, schneller erschöpft sind. Sie fühlen sich angestrengt und können sich entsprechend weniger gut konzentrieren. Im Unternehmen kann das zur Folge haben, dass ihre Leistung abfällt und sie damit die Prozesse und Abläufe verlangsamen oder im schlimmsten Fall ganz zum Erliegen bringen. Gerade wer Verantwortung hat und plötzlich nicht mehr „alles auf dem Schirm“ hat oder sich Sachen schlechter merken kann – in seltenen Fällen können sogar Wortfindungsstörungen auftreten – kann ungewollt den Betriebsablauf empfindlich stören.
Häufig gehen diese vielfältigen Äußerungen von Konzentrationsstörungen mit Kopfschmerzen einher. In der englischsprachigen Öffentlichkeit nennt man die kognitiven Einschränkungen nach COVID-19 auch bezeichnend „brain fog“ [dt.: „Hirnnebel"].
Der Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und Konzentrationsstörungen ist nicht ganz klar
Über den Mechanismus, wie eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu länger anhaltenden Konzentrationsstörung führen kann, wird bislang nur spekuliert. Da das Virus ins Nervensystem und auch ins Gehirn gelangen kann, kann es hier auch eine Entzündungsreaktion hervorrufen. Mediziner:innen gehen davon aus, dass das Gehirn – vereinfacht gesagt – eine längere Entzündungsreaktion durchgemacht hat und dadurch leicht angegriffen ist. In bildgebenden Untersuchungen mit Magnetresonanz-Tomographie (MRT) wurden häufiger zahlreiche kleinere Veränderungen der sogenannten weißen Substanz gefunden, das sind vor allem die Nervenfasern des Gehirns. Mediziner:innen nehmen an, dass sie etwa durch eine Durchblutungsstörung oder einen Sauerstoffmangel im Zusammenhang mit COVID-19 entstanden sein könnten. Starke Entzündungsreaktionen in den Gefäßen können wiederum zu Durchblutungsstörungen und in der Folge einem Sauerstoffmangel führen.
Konzentrationsstörungen sollten beim Arzt abgeklärt werden
Wer unkonzentriert ist, fällt vor allem bei effizient arbeitenden Teams im Unternehmen recht schnell auf. Handelt es sich nur um eine Phase, wird häufig von den Kolleg:innen darüber hinweggesehen. Auf Dauer kann es jedoch zum Problem werden, das nur ungern angesprochen wird. Die Tatsache, dass anhaltende Konzentrationsstörungen nach einer COVID-19-Infektion vorkommen, können es leichter machen, darüber zu sprechen. Eine Aufklärung der Mitarbeiter:innen darüber kann deshalb sinnvoll sein – auch um die Probleme frühzeitig zu erkennen und anzugehen.
Egal, ob man es selbst bemerkt, oder von anderen darauf aufmerksam gemacht wird: Wenn es einen Verdacht gibt, dass die Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt ist, dann sollte man dies medizinisch abklären lassen. Die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt kann hier als erste, niedrigschwellige Anlaufstation dienen. Bei Sorgen oder Auffälligkeiten kann die Patientin oder der Patient zum Hausarzt oder direkt zum Neurologen überwiesen werden. Der/die Mediziner:in – idealerweise eine Neurologin oder ein Neurologe – führt eine Untersuchung durch, bei der die kognitiven Fähigkeiten getestet werden. Besonders häufig wird hier der sogenannte Montreal Cognitive Assessment (MoCA)-Test (siehe unten) eingesetzt. Ergeben sich Auffälligkeiten, kann eine ausführlichere Diagnostik weitere Aufschlüsse über mögliche Zusammenhänge mit COVID-19 geben. So kann etwa eine Blutuntersuchung zeigen, ob im Nachgang der COVID-19-Erkrankung bestimmte Antikörper zirkulieren, die sich gegen Strukturen im Nervensystem richten. Manchmal bringt hier auch eine Untersuchung des Liquors, also der Nervenflüssigkeit, zusätzliche Erkenntnisse. Im Blut lassen sich auch sogenannte Entzündungsmarker nachweisen, die ein Hinweis auf eine aktive Entzündungsreaktion im Gefäßsystem – darunter auch in den Gefäßen in unmittelbarer Nähe zum Nervensystem – sein können. All diese Untersuchungen werden jedoch meist erst nach einem MoCA-Test durchgeführt, und nur, wenn es jeweils einen spezifischen Anhaltspunkt für ein möglicherweise positives Ergebnis gibt.
Montreal Cognitive Assessment (MoCA)-Test
Der MoCa-Test besteht aus 30 Fragen, die in etwa 10 Minuten beantwortet werden sollen. Unter den Fragen sind Aufgaben zu den Bereichen:
- Gedächtnisleistung: Vier verschiedene Wörter mit zeitlichem Abstand wiederholen.
- Rechnen: Mehrere Zahlen in Folge voneinander abziehen. Zum Beispiel: 90 minus 7 minus 8 und so weiter.
- Räumliche und zeitliche Orientierung: Datum, Zeit und Ort zügig benennen.
- Wortfindung: Zum Beispiel bestimmte Dinge auf einer Abbildung erkennen und benennen.
- Denken im Zusammenhang: Mehrere Buchstaben und Zahlen passend miteinander verbinden.
- Wortflüssigkeit: In einer Minute möglichst viele Wörter nennen, die mit einem bestimmten Buchstaben beginnen.
Der Test zeichnet sich dadurch aus, dass er auch leichte kognitive Einschränkungen erkennt, wie sie etwa nach einer COVID-19-Erkrankung auftreten könnten. Daher wird er bei derartigen Verdachtsfällen häufig zur Diagnostik verwendet.
So lassen sich Konzentrationsstörungen behandeln
Die gute Nachricht: Man geht nach aktuellem Kenntnisstand davon aus, dass Konzentrationsstörungen, die nach COVID-19 aufgetreten sind und über Wochen oder Monate anhalten, in den allermeisten Fällen im Laufe der Zeit von selbst wieder vollständig verschwinden. Die Zeit ist also in der Regel ein Faktor, der Betroffenen in die Karten spielt – und auch den Unternehmen. Oft macht es Sinn, die Arbeitsbelastung für die oder den Betroffenen etwas zu reduzieren, um Stress zu vermeiden, der verzögernd auf die langsame Erholung wirken kann. Bei diagnostisch gesicherten kognitiven Einschränkungen, wie etwa Konzentrationsstörungen, empfiehlt die medizinische Leitlinie zu Long-COVID zudem unterstützende therapeutische Maßnahmen. Diese können in manchen Fällen nicht nur die Heilung und Wiedererlangung der kognitiven Fähigkeiten beschleunigen, sie senken vermutlich auch das Risiko, dass die Einschränkungen dauerhaft bestehen bleiben.
Es stehen folgende Therapieoptionen zur Verfügung:
- Ergotherapie: Hier werden Bewegungskoordination, Sinnes- und Emotionswahrnehmung und die Konzentration trainiert, ebenso selbstständige Planung und Durchführung von Tätigkeiten. Ergotherapeutische Übungen haben sich bewährt, um die Hirnleistung gezielt zu trainieren. Am Uniklinikum Jena beispielsweise wurden bereits mehr als 50 Patient:innen erfolgreich behandelt, die nach einer COVID-19-Erkrankung über einen längeren Zeitraum an Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen litten.
- Neuropsychologische Unterstützung: Die Trainings ähneln ein Stück weit der Ergotherapie. Bei ihnen steht allerdings noch mehr die Förderung kognitiver Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Merkfähigkeit im Mittelpunkt. Teilweise gibt es hier auch die Möglichkeit, computergestützte Trainings einzusetzen.
Fazit
Ein Leistungsabfall bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter in den Wochen und Monaten nach einer COVID-19-Erkrankung kann also eine länger dauernde Folge derselben Erkrankung sein. Weil Konzentrationsstörungen vergleichsweise häufig sind, sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere Führungskräfte, hierfür sensibilisiert werden, um frühzeitig Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Bei Verdacht auf Konzentrationsstörungen nach COVID-19 kann der Betriebsarzt oft als erste niederschwellige Anlaufstation dienen und weitere Diagnostik in die Wege leiten. Mit einfachen Tests lassen sich übermäßige Konzentrationsstörungen in vielen Fällen gut entdecken.
Betroffene können oft einige Zeit lang größeren Arbeitsaufwand nicht mehr stemmen, entsprechend gilt es, die Belastung für die oder den Angestellten gering zu halten. Die gute Nachricht: Auch wenn bislang noch langfristige Daten fehlen, so deutet vieles darauf hin, dass die Konzentrationsstörungen sich in den allermeisten Fällen im Laufe der Monate wieder verbessern. Allgemeinmaßnahmen wie Ergotherapie und neuropsychologische Unterstützung können helfen, den Heilungsprozess zu beschleunigen.