Flexible Arbeitszeiten – auf das Vertrauen kommt es an

Flexible Arbeitszeiten sind aus der modernen hybriden Arbeitswelt kaum mehr wegzudenken. Durch die Corona-Pandemie haben sie noch einmal zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Doch auch schon davor waren sie ein wichtiger Bestandteil vom sogenannten „New Work“-Trend. Wir zeigen, welche Arbeitszeitmodelle es gibt, was die Vorteile von flexiblen Arbeitszeiten sind und worauf Unternehmen dabei achten sollten.

Das Wichtigste in Kürze

  • Flexible Arbeitszeitmodelle haben durch die Corona-Pandemie einen Schub erhalten.
  • Studien zeigen: Flexible Arbeitszeiten steigern die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter:innen.
  • Flexible Arbeitszeitmodelle helfen bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeiter:innen.
  • Eine etablierte Vertrauenskultur im Unternehmen ist die zentrale Erfolgsbedingung für flexible Arbeitszeitmodelle.
  • Flexible Arbeitszeiten sollten gründlich und möglichst langfristig geplant werden, damit es nicht zu Konflikten im Team kommt.
Zwei Kolleg:innen sitzen in gemütlicher Lounge zusammen und arbeiten teils mit Kopfhörern
Der Ruf nach flexiblen Arbeitszeiten ist in unserer heutigen Zeit sehr groß geworden. Vor allem wenn es darum geht, neue Talente für sein Unternehmen zu gewinnen, können solche Arbeitszeitmodelle ein großer Vorteil sein. Bildquelle: istock/YakobchukOlena

Der Programmierer kommt morgens schwer aus dem Bett, kann dafür am späten Nachmittag konzentriert arbeiten. Der Redakteur beginnt lieber schon früh um sieben, damit er ab 15 Uhr für die Kinder da sein kann. Die Versicherungsangestellte arbeitet zurzeit mehr als sonst, damit sie von der angesparten Zeit einen langen Urlaub machen kann. Drei Beispiele für viele Beschäftigte, die sich über die neue Flexibilität der Arbeitswelt freuen. Den Klassiker kennen viele inzwischen quer durch alle Branchen und haben damit gute Erfahrungen gemacht: Im Unternehmen gibt es eine Kernarbeitszeit – meist zwischen 9 und 16 Uhr, und in den Randbereichen kann flexibel gearbeitet werden. Das kommt nicht nur dem individuellen Tagesrhythmus entgegen, sondern gibt auch Spielraum für unerwartete Dinge wie einen Arztbesuch oder Schulausfälle.

New Work verändert die Arbeitswelt

New Work beinhaltete schon vor der Corona-Pandemie Modelle für flexible Arbeitszeiten. Doch spätestens mit der Pandemie nahm das Bedürfnis nach Homeoffice, Teilzeit und flexiblen Arbeitszeiten und -orten sowie mobilem Arbeiten zu. Und auch Unternehmen stehen dem Modell heute offener gegenüber als früher, da die Vorteile nicht nur praktisch nachgewiesen, sondern inzwischen auch durch Studien belegt sind.
Im Kern geht es bei flexiblen Arbeitszeitmodellen darum, Arbeit und Privatleben besser miteinander zu verbinden. Hier haben verschiedene Gruppen ganz unterschiedliche Bedürfnisse: junge Eltern, Pendler mit langen Fahrstrecken, Kreative, pflegende Angehörige, Ältere etc. Sie alle brauchen Freiräume, um private Aufgaben besser regeln, Fahrzeiten optimal wählen und auf unerwartete Zwischenfälle reagieren zu können. Und die Vielfalt der Lebenslagen und Bedürfnisse bedingt letztlich auch, dass sich die jeweiligen konkreten Modelle bei flexiblen Arbeitszeiten diversifizieren. Wer eine monatelange Reise oder Fortbildung machen möchte, braucht andere Angebote als Eltern mit schulpflichtigen Kindern.

Vielfalt der Modelle

Das Standard-Modell Gleitzeit/feste Kernarbeitszeiten ist inzwischen weit verbreitet. Doch darüber hinaus gibt es weitere Modelle: die komprimierte Arbeitszeit, bei der die Arbeitszeit auf weniger Arbeitstage als üblich verdichtet wird und somit ein freier Tag geschaffen wird. Bei der Jahresarbeitszeit hingegen verpflichten sich Beschäftigte, eine bestimmte Stundenanzahl pro Jahr zu arbeiten, die Arbeitszeiten können sich dabei aber wöchentlich ändern. Auch Arbeitszeitkonten, auf die die Angestellten je nach Modell kurz- oder auch langfristig die geleisteten Überstunden „einzahlen“ und das Guthaben bei Bedarf für Auszeiten nutzen können, geben viel Spielraum. Dieses Modell trägt im Übrigen nicht nur zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei, sondern dient in Krisenzeiten auch zur Vermeidung von Kurzarbeit und Entlassungen. In Deutschland gelten relativ weitreichende Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Im Arbeitszeitgesetz ist nur ein grober Rahmen vorgegeben und ausdrücklich festgelegt, dass Unternehmen in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung eigene Regelungen treffen können. So ist es meist problemlos möglich, mit dem Arbeitgeber individuelle Vereinbarungen zu treffen.
Allen Modellen liegt der Gedanke zugrunde, Zeit zunächst anzusammeln, um sie dann nach Bedarf zu einem anderen Zeitpunkt abrufen zu können – für Urlaub, Weiterbildung, intensive Pflege- und Betreuungsphasen oder einfach für kreative oder regenerierende Auszeiten. Das beschert den Unternehmen produktive und glückliche Mitarbeiter, die sich ernst genommen fühlen und auch noch länger bleiben. Denn den Beschäftigten wird vermittelt, dass ihr Unternehmen Rücksicht auf ihre persönlichen Belange nimmt – und es gibt noch weitere Vorteile.

Zahlreiche Studien zeigen inzwischen, wie wichtig flexibles Arbeiten heutzutage ist. Vor allem im Wettbewerb um neue Talente können flexible Arbeitszeitmodelle sowie das Angebot von Remote-Work aus dem Ausland von großem Vorteil sein. Bildquelle: istock/Olezzo

Die Vorteile flexibler Arbeitszeiten

Flexible Arbeitszeiten erlauben es, die Tätigkeit in die individuell produktivste Tagesphase zu legen und zusätzlich besser mit privaten Aufgaben in Einklang zu bringen. Das führt zu einer besseren Work-Life-Balance und steigert Zufriedenheit sowie Produktivität der Mitarbeiter:innen. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn konnte in einem Feldexperiment zeigen: Bei Vollzeitbeschäftigten lag die Produktivität um bis zu 50 Prozent höher, wenn sie Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit selbst wählen konnten. Den Großteil des Effekts schreiben die Forscher dem „Motivationseffekt“ zu, der vor allem darin bestand, dass die flexibel Beschäftigten weniger Pausen während der eigentlichen Arbeitszeit machten, sprich eher konzentriert und motiviert durchgearbeitet haben. Dadurch arbeiteten sie um zehn Prozentpunkte effektiver als mit festen Arbeitszeiten. Bei Teilzeitkräften waren die Effekte allerdings weniger deutlich. In der Studie ging es um relativ einfache Routinetätigkeiten am Bildschirm, für die sich flexible Arbeitszeitmodelle offenbar besonders eignen.

Eine weitere Untersuchung am IZA belegte zudem eine höhere Zufriedenheit mit der Arbeitszeit und dem Job generell. Wer Beginn und Ende, Ort und Zeit der Arbeit flexibler wählen kann, ist zufriedener. Das gilt laut der Studie interessanterweise für Männer und Frauen gleichermaßen. Es geht dabei auch nicht allein um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn bei Eltern zeigte sich kein stärkerer Effekt als bei kinderlosen Kolleg:innen. Der allgemeine Wunsch nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung spielt also eine wichtige Rolle, vermuten die Forscher. Dabei ist Gleitzeit der Studie zufolge die effektivste Form von Flexibilität, um die Zufriedenheit der Beschäftigten zu steigern.
Davon profitieren auch Arbeitgeber: Zufriedenere Mitarbeiter:innen melden sich seltener krank und bleiben dem Unternehmen darüber hinaus auch länger treu. Dabei helfen flexible Modelle nicht nur bei der Bindung, sondern auch bei der Gewinnung von Mitarbeiter:innen – in Zeiten des Fachkräftemangels ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Denn Unternehmen, die moderne Arbeitszeitmodelle anbieten, sind für talentierte Bewerber:innen attraktiver. Das bringt Vorteile beim „Employer Branding“, sprich bei Strategien, um sich als Unternehmen attraktiv zu positionieren und damit besser im Wettbewerb um neue Talente bestehen zu können.

Vertrauen ist elementar

Flexible Arbeitszeiten stellen Chefs allerdings auch vor ein zentrales Problem: Die Arbeitszeitkontrolle wird schwieriger. Eine etablierte Vertrauenskultur im Unternehmen ist daher die zentrale Erfolgsbedingung für flexible Arbeitszeitmodelle. Das betont Dominik Enste, Professor für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik an der TH Köln und Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft. Mit einer Studie am IW konnte er zeigen, dass Vertrauen die Produktivität fördert und damit ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sein kann.
Dafür werteten Enste und seine Kolleginnen Mara Grunewald und Louisa Kürten Zahlen des European Working Conditions Survey aus: Wer sein Team weniger stark kontrolliert, kann die Zufriedenheit und Produktivität der Angestellten langfristig steigern: „Manche Unternehmen haben nach wie vor Angst, durch Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten die Kontrolle zu verlieren. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch klar, dass es dafür keinen Grund gibt. Vertrauen zahlt sich aus“, sagt Enste. Chefs sorgen insbesondere dann für mehr Zufriedenheit und damit für Produktivität, wenn sie selbst vertrauenswürdig sind und sich wertschätzend gegenüber ihren Mitarbeiter:innen verhalten.

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass weniger Kontrollen zu höherer Zufriedenheit am Arbeitsplatz führen. Bild- und Informationsquelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Setze ein Unternehmen auf weniger Kontrollen, seien rund 60 Prozent der Arbeitnehmer:innen sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Je stärker die Überwachung, desto niedriger sei der Wert. Bei Firmen mit strengen Kontrollen seien der Studie zufolge nur noch 45 Prozent der Arbeitnehmer:innen zufrieden mit der Arbeit, rund jeder Dritte klage dann über Konflikte mit dem Vorgesetzten. Enste rät daher zum langfristigen Aufbau einer Vertrauenskultur, damit Flexibilität möglich wird.

Risiken von flexiblen Arbeitszeiten und wie es richtig geht

Flexibilität hält aber auch einige Herausforderungen bereit: So kann es in Teams und Abteilungen beim Aushandeln der individuellen Arbeitszeiten zu Konflikten kommen. Wer darf welche Freiheiten haben, wer bekommt den Vorzug, wenn alle erst um 10 Uhr anfangen wollen? Da kann es zu Reibungen kommen. Solche Details müssen im Team und mit der Chefetage für alle Seiten zufriedenstellend ausgehandelt werden. Und ein weiteres Risiko: Flexible Arbeitszeiten können mittelfristig zu einem Work-Life-Blending führen. Statt wie früher in einer Work-Life-Balance Beruf und Privates auszubalancieren, verlaufen zunehmend beide Bereiche ineinander; die Grenzen von Arbeit und Freizeit lösen sich auf, was das Stressempfinden erhöhen kann.

Doch wie geht es richtig? Wir haben einige Tipps für Sie zusammengetragen, wie Sie flexible Zeiten so organisieren, dass die Zusammenarbeit im Team funktioniert und Führungskräfte den Überblick über Zeitpläne sowie Projekte behalten:

  • Flexible Arbeitszeiten müssen gründlich und möglichst langfristig geplant werden, damit es nicht zu Pannen kommt, etwa eine Abteilung plötzlich unterbesetzt ist, Kunden nicht bedient werden können oder die Betriebsabläufe gestört werden. Wie das konkret umgesetzt wird, hängt von der Art und Größe des Unternehmens bzw. der Abteilung ab. Es können wöchentliche oder monatliche Abstimmungen sein, vom jeweiligen Personalplan auf Papier bis zum gemeinsam genutzten digitalen Tool, etwa Outlook-Kalender-Einträgen, ist vieles möglich.
  • Eine gute Abstimmung und Kommunikation im Team und des Teams mit der Führungsebene ist elementar, auch gegenüber Geschäftskunden, die wissen müssen, wann sie bestimmte Ansprechpartner:innen erreichen können. Auch hier gilt: In kleinen Firmen mit wenigen Angestellten reichen schon einfache Pläne – man kennt dann in der Regel die Arbeitszeiten der Mitarbeiter:innen und kann diese bei Terminabsprachen mit Kunden berücksichtigen. In großen Firmen müssen gute, ausgeklügelte Tools für die Zeiterfassung der unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle implementiert werden. Das entlastet die Personalabteilungen.
  • Transparente, allgemeingültige „Flexi-Regeln“ im Betrieb aufstellen, damit alle wissen, was möglich ist und was nicht.
  • Führungskräfte und Personalabteilungen müssen für eine faire Verteilung der flexiblen Arbeitszeiten sorgen.
  • Testphasen und Probezeiten tragen dazu bei, dass beide Seiten Erfahrungen mit dem für sie optimalen Modell sammeln können.

Fazit

Das Interesse an flexiblen Arbeitszeiten unter Beschäftigten ist hoch und der Trend dürfte auch in Zukunft weiter anhalten. Die vielfältigen Modelle haben Vorteile für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen, vor allem die bessere Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Doch nicht nur das: Sie können auch die Motivation und Produktivität steigern. Damit es in der Praxis konfliktfrei funktioniert, müssen beide Seiten verbindliche und transparente „Flexi-Regeln“ vereinbaren. Dabei lohnt es sich, eine nachhaltige Vertrauenskultur im Unternehmen aufzubauen.


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Stand des Artikels: 18.08.2022
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion

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