Ausgebranntsein und dennoch funktionieren: über Arbeiten im Burn On

Wie fühlt es sich an, eine Erschöpfung zu verschleppen? Burn On ist ein jüngst geprägter Begriff, der diesem Phänomen einen Namen gibt. Er bezeichnet einen Zustand, in dem man unter chronischer Daueranspannung steht und davon in gewisser Weise betäubt wird. Bis man nicht mehr merkt, dass man gar nicht zur Ruhe kommen kann und dass selbst regenerative Maßnahmen nur noch der „Instandhaltung“ dienen. Wie gefährlich Burn On ist und was Unternehmen dahingehend tun können, erfahren Sie hier.

Ständiger Termin- und Leistungsdruck, sowohl im Beruf als auch im Privaten, können Menschen in Zustände chronischer Daueranspannung versetzen. Kann man nicht mehr zur Ruhe kommen, drohen ernstzunehmende gesundheitliche Risiken.

„Hast du schon mal was von Burn On gehört? Ich habe dazu einen Artikel gelesen und ich glaube, ich habe das.“ – so begann ein Abend mit einer Freundin zuletzt. In der Tat hatte ich genannten Beitrag auch gesehen, ihn aber erstmal auf die Leseliste gepackt. Aber nach diesem Abend habe ich mich mehr mit dem Thema beschäftigt. Und tatsächlich merke ich inzwischen immer mehr, dass man, je mehr man den Menschen in seinem Umfeld derzeit zuhört, umso mehr feststellen muss: Burn On gibt dem einen Namen, was viele von uns schon lange fühlen. Sich ausgebrannt fühlen, gefühlt nur noch zu funktionieren und dennoch nicht damit aufhören zu können. Ein Thema, das uns speziell im Mai, dem Monat der Mental Health Awareness (dt.: Bewusstsein für mentale Gesundheit) beschäftigt.

Wie Burn On beginnt – und nie aufhört

Der Begriff Burn On wurde erstmals geprägt von Professor Dr. Bert te Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen am Ammersee und dem Psychologen Timo Schiele. Gemeinsam veröffentlichten sie im Jahr 2021 das Buch „Burn On: Immer kurz vorm Burnout: Das unerkannte Leiden und was dagegen hilft (Verdeckte Depressionen erkennen, behandeln und loswerden; Psychologie-Ratgeber zur Selbstheilung)“. Und auch wenn der Begriff damit noch sehr jung ist, so scheinen uns die Symptome doch spätestens seit der Pandemie bekannt oder zumindest nachvollziehbar.

Das Burn On-Syndrom bezeichnet ganz grundlegend einen Zustand chronischer Dauererschöpfung. Darunter versteht man etwas konkreter ein Verschleppen der Erschöpfung. Das heißt, dass man sich wortwörtlich so lange durch eine Phase der Daueranspannung schleppt, dass man sich mehr oder weniger daran gewöhnt. Körper und Geist sind wie betäubt und laufen dennoch im Dauerantrieb. Und genau das macht Burn On so gefährlich: Denn auch wenn sich teils gravierende mentale und körperliche Folgen abzeichnen, so bleiben diese unbemerkt. Zu einem tatsächlichen körperlichen oder mentalen Zusammenbruch kommt es dabei nicht, weshalb Diagnose und Therapie oftmals ausbleiben. Und so geht es weiter, und weiter, und weiter...

Die Symptome chronischer Dauererschöpfung

Die Ursachen für Burn On können sowohl im Privaten als auch im Beruflichen sowie im Zusammenspiel aus beiden Bereichen liegen. Der Einfluss berufsbedingter Stressfaktoren ist dabei durchaus gravierend. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur erklärt Dr. te Wildt: „Unsere Gesellschaft definiert sich sehr stark übers Arbeiten. Werte sind sehr stark an materiellen Dingen, an Geldwerten orientiert. Und das legt sich auch in unsere Arbeitshaltung“.

In diesem Zusammenhang erklärt er auch die Symptome, die ein Burn On andeuten können: Wenn Sie sich beispielsweise nach Entspannung sehnen, aber bereits so angespannt sind, dass Sie unruhig werden, wenn Sie mal zur Ruhe kommen; wenn Sie Achtsamkeitsübungen wie Yoga oder Meditation nur noch deshalb ausüben, weil Sie funktionstüchtig bleiben wollen; oder wenn Ihnen nichts mehr so richtig Freude bereiten zu scheint – dann könnte dies ein Ausdruck chronischer Dauererschöpfung sein oder bereits ein erstes Risiko dahingehend andeuten.

Was ist Burn On
Burn On ist ein ernstzunehmendes Problem: Da es schleichend einsetzt und Betroffene unter chronische Daueranspannung versetzt, bleibt das Phänomen unter Umständen verborgen und damit unbehandelt. Doch die psychischen, wie auch körperlichen Folgen von Burn On sind vielfältig und äußerst riskant.

Das Symptom, so te Wildt, ist weit verbreitet. Auch wenn das jüngst getaufte Phänomen noch keine konkreten Zahlen und Fakten aufweist, so scheint diese Aussage (leider) dennoch nachvollziehbar. Denn wir leben in einer Kultur, in der sich das Selbstwertgefühl gerne auch durch die Karriere definiert und daher Leistungsdruck für viele auf der Tagesordnung steht.

Immer kurz vor aber nie im Burnout – wenn das Stopp-Signal fehlt

„Was Menschen mit Burnout nicht verhindern können, versuchen Menschen mit Burn On mit einem Lächeln jeden Tag“, so erklärt Bert te Wildt gegenüber der ZEIT den Unterschied zwischen die beiden Phänomenen. Das heißt, dass Burnout einen Zustand des letztendlichen Zusammenbruchs beschreibt, während man mit einem Burn On so erschöpft zu sein scheint, dass man in eine Art Endlosschleife des Ausgebranntseins gerät – ein Leben am Akkulimit. Dabei fehlt der Moment, der ganz klar „Stopp“ sagt, es geht einfach immer weiter. Damit ist Burn On nicht eindeutig und auch nicht immer schnell zu identifizieren. Die Folgen: Man arbeitet und lebt im immer gleichen Modus, unterwirft sich ihm gar.

In diesem Zustand bringen selbst die schönen Dinge des Lebens den Betroffenen keine Freude mehr, sie werden vielmehr zur zusätzlichen Belastung: Noch ein Geschenk für den Geburtstag des besten Freundes oder der besten Freundin besorgen, abends noch in den überfüllten Supermarkt müssen für das Familienessen oder ein Outfit aussuchen für den After-Work-Drink – alles Beispiele für Belastungen, die die Freude an der eigentlichen Sache verdrängen. Was man dagegen tun kann: zur Ruhe kommen. Klingt leicht, ist in diesem Zustand des Ausgebranntseins aber alles andere als das. Betroffene müssen erst einmal erkennen, dass es so nicht für sie weiter geht (ein erster wichtiger und schwieriger Schritt) und dann lernen, wie sie sich entspannen. Seine Patienten und Patientinnen behandelt der psychologische Psychotherapeut Timo Schiele deshalb zunächst mit Methoden der Achtsamkeit, um wieder ein eigenes Bewusstsein für Empfindungen herzustellen.

Der Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen und Schlafproblemen

Ein Indikator für stressbedingte Belastungen können ganz grundsätzlich Auffälligkeiten im Schlaf sein. Viele Studien belegen bereits den direkten Zusammenhang zwischen Dauerstress und Schlafstörungen. Denn in der Nachtruhe regeneriert sich unser Körper – schlafen wir also schlecht oder gar nicht, dann können wir auch nicht zur Ruhe kommen. Und können wir nicht zur Ruhe kommen, können wir auch nicht einschlafen. So führt Schlafmangel in einen Zustand der Dauererschöpfung und somit in eine akute Stressfalle. Darüber hinaus bergen Schlafprobleme neben psychischen Risiken auch körperliche Auswirkungen wie Kopfschmerzen, Händezittern, Herzklopfen oder auch gastrointestinale (d.h. Magen-Darm-Trakt-) Beschwerden. Ein Problem, das vor allem auch zu den turbulenten und belastenden Zeiten der Corona-Pandemie, die im Jahr 2020 weltweit ausbrach, extrem verstärkt wurde.

Schlaf seit Corona
Dass Stress unser Schlafverhalten nachhaltig beeinflusst, hat spätestens die Corona-Pandemie gezeigt. Die Mehrheit der Deutschen gibt an, seit der Pandemie schlechter zu schlafen. Neben der Schlafqualität nimmt auch die Schlafdauer bei Erwachsenen immer weiter ab.

„Wer nicht genug schläft, kann nicht gesund sein“, sagt auch Katrin Pucknat, Mitglied des DSG-Vorstands und CEO von ResMed Germany. Vor allem wichtig sei es dabei, betont sie für die Deutsche Stiftung Schlaf, seinen eigenen natürlichen Schlafrhythmus zu finden und äußere Zwänge zu ignorieren. Daher benötigen speziell Menschen, die einen unregelmäßigen Schlaf haben, wie zum Beispiel Schichtarbeiter:innen, Hilfe dabei, zu gesundem Schlaf zu finden. Ebenfalls benötigen insbesondere Betroffene Unterstützung, die an psychischen Erkrankungen, wie Burnout, leiden. Sie sollen durch die regenerative Wirkung von gesundem Schlaf wieder an ein gesundes Lebensgefühl herangebracht werden.

Was Unternehmen tun können, um ihre Mitarbeiter:innen vor der Gefahr psychischer Erkrankungen zu bewahren

Wer lernt, innezuhalten und auf seinen eigenen Körper zu hören, der kann psychischen Erkrankungen effektiv entgegenwirken. Doch auch Unternehmen können ihre Mitarbeiter:innen dabei unterstützen und sie auf vielfache Weise entlasten:

  • Psychische Belastungen entstigmatisieren: Psychische Gesundheit im Allgemeinen sowie das Thema Burnout im Speziellen sollten kein Tabuthema sein – vor allem nicht am Arbeitsplatz. Vermitteln Sie Ihren Mitarbeiter:innen dieses Gefühl, indem Sie eine offene sowie transparente interne Kommunikationskultur leben und Maßnahmen anbieten, mit deren Hilfe Mitarbeiter:innen lernen können, Stresssituationen gestärkt zu begegnen, achtsam mit sich selbst umzugehen sowie sich und dem eigenen Körper Ruhephasen zu schaffen.
  • Transparenz und Freiräume schaffen: Neben einer offenen Kommunikation, können Sie Ihr Team auch mental entlasten, indem Sie Prozesse und interne Strukturen möglichst transparent darstellen. Das steigert nachweislich das Integrationsgefühl und damit die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Darüber hinaus gewährleisten Sie Ihrem Team auf diese Weise auch Freiräume für eigenständiges Arbeiten.
  • Überstunden regulieren: Legen Sie im Rahmen der Unternehmensleitlinien fest, dass Überstunden zeitnah abgebaut werden sollten. Somit können sich Mitarbeiter:innen nach stressigeren Phasen schnellstmöglich wieder regenerieren. Zudem können somit nicht nur krankheitsbedingte Ausfälle vermieden werden, sondern auch Fehler, die unter Druck entstehen können.
  • Arbeitszeiten flexibel gestalten: Entlasten Sie Ihre Mitarbeitenden, indem Sie ihnen erlauben, ihre Arbeitszeit flexibel einzusetzen. So bleibt Freiraum, um Kinder zu betreuen, Arzttermine wahrzunehmen etc. und die Konzentration während der geleisteten Arbeitszeit steigt. Die Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten fördert dieses Gefühl umso mehr, baut Stress ab und schafft zudem eine vertrauensvolle sowie wertschätzende Basis.
  • Kontakte zum Team pflegen: Führen Sie regelmäßige Mitarbeiter:innengespräche, um eine Gelegenheit zu schaffen, Probleme offen anzusprechen. Die Gespräche sollten in 1:1 Situationen stattfinden. Somit schaffen Sie nicht nur Raum für Vertrauen, sondern auch eine freundliche und wertschätzende Arbeitsatmosphäre.
  • Wertschätzung zeigen: Ein gutes Betriebsklima kann Stress und somit auch Burnout nachhaltig vorbeugen. Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter:innen daher regelmäßig mit Anerkennung und Wertschätzung und führen Sie eine transparente Kommunikation im Team. Vertrauensbildende Teambuildingmaßnahmen können dieses Gefühl verstärken.

Zu guter Letzt:

„Burn On" ist noch sehr jung. Aber der Begriff des Burnout ist den meisten wohl schon lange geläufig. Dennoch ist auch er tatsächlich noch recht jung. Zuallererst tauchte er im Jahr 1960 in der Literatur auf, als der britische Autor Graham Greene einen Roman namens „A Burnt-Out Case" veröffentlichte. Das Werk handelt von einem Architekten, der keine Erfüllung mehr in seiner Anstellung findet, schließlich kündigt und auswandert. Im Jahr 1974 fasste der amerikanische Psychologe Herbert Freudenberger den Begriff auf, als er bei sich selbst ein „Burnout“ feststellte und begann somit die wissenschaftliche Diskussion um das Phänomen.


Fazit

Auch wenn der Begriff „Burn On" noch sehr jung ist, so sind seine Symptome in unserer heutigen Gesellschaft schon sehr weit verbreitet. Unternehmen sollten dem Thema daher Beachtung schenken, nicht zuletzt, da viele gravierende und nachhaltige gesundheitlichen Risiken drohen. Betroffene selbst sollten auf Anzeichen achten und gegebenenfalls professionelle Unterstützung aufsuchen.


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Stand des Artikels: 20.05.2022
Die Autorin

Alina Nagel

MEDISinn-Redaktion

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